Fallen stellen!
Wir müssen dem Fallen stellen, diesem Falschen, damit der sich verrät, das müssen wir einfach, der zwingt uns dazu!
Zum Beispiel immer die eine Anklage schleudern der vorigen hinterher, und dann kurz eine einladende Pause machen, und der Angeklagte holt Luft, um sich zu verteidigen, und dann dem schneidend hineinbellen: Ich war noch nicht fertig! Was fällt dir ein, mir ins Wort zu fallen? Für was hältst du dich eigentlich?
Die Erfahrung einmal gemacht, und noch einmal, wurde der Junge so schlau, überhaupt nichts mehr zu sagen, da tönten die Schreie: Hat der ja überhaupt nicht nötig, sich zu äußern, hält der sich viel zu groß, sind wir ja gar nicht würdig für den, dass der sich offenbart vor uns, dass der uns die Wohltat seiner Erkenntnisse schenkt, dass der sich zu uns herablässt, ist wahrscheinlich alles viel zu hoch für uns, da können wir ja nur niederknien, vor einem solchen Geistesriesen!
Die Drohung mit Schlägen die Drohung mit drescher Überwältigung jederzeit im Hintergrund.
Jeden Augenblick kann es passieren, jeden Augenblick kannst zu Boden du geworfen werden, Tritte empfangen in den bündelweichen Leib, klatschende Schläge ins offene Gesicht.
Jeden Augenblick kann es passieren. Diese Gewissheit erst schafft die rechte Behandlungsatmosphäre!
Als er noch nicht schlau geworden war, der Junge, hatte er wohl einmal stotternd, kalkweiß, angehoben zu sagen: Ich dachte —
Ah, gedacht hat er! ergrölte drob das Ganzstiefelvieh. Gedacht! Gedacht! Da können wir ja nur einpacken, wir kleinen Menschen, wenn solch eine Größe anfängt zu denken! Da schwanken ja die Wände, wenn es in dem anfängt zu denken! Und jetzt denkt der, da müssen wir ja in die Knie brechen vor Ehrfurcht, wenn der anfängt zu denken, aber da sag ich dir mal was, du Denker, auf unsere Ehrfurcht kannst du lange warten, an dir ist überhaupt nichts groß, an dir und deinem Denken, ein ganz dummer Junge bist du, ein gaanz gaaanz dummer Junge —
Er hatte stehen müssen gegenüber solchen Flutungen, der Junge, stehen als Angeklagter vor seinen Richtern, die gleichzeitig Scharfrichter waren, das Ganzstiefelvieh und die Pferdeschnauzige und die Grimmvettel hingegossen in ihre Sessel und auf ihren Divan, schreie Anklage wechselnd mit lauerndem Abwarten, ob der jetzt was sagt, was sagt, damit man das gegen den verwenden kann, ob der jetzt was rauslässt, was man als Beweis verwenden kann, Beweis gegen den, Rohmaterial für die Verurteilung.
Alles ist Beweis.
Jedes Wort, jeder Atemzug.
Alles Beweis.
So kannte das der Junge, so kannte sich der Junge.
Er der Angeklagte, stehend gesenkten Kopfes vor seinen Anklägern, und die Ankläger schreien: Wagt auch noch, sich zu verteidigen! Das wagt der auch noch! Da sieht man doch, wie schuldig der ist! Oder: Sagt kein Wort! So überlegen hält der sich über uns! Da sieht man doch, wie schuldig der ist!
So kannte es der Junge.
Der Angeklagte wehrlos und ehrlos und stotternd, endlich verstummend. Die Ankläger sieghaft, eifernd, niederbrüllend. Der Angeklagte entlarvtes Gewürm, schwarz und Nacht und kriechend, die Ankläger überwältigender Glanz, nichts als Tag und Zukunft.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 04.11.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)