Spinnweben

„Eluard, schau doch mal“, sagte Waldemar.

Am Wiesenrand stand ein Schlehdorn, undurchdringliches Dornengewirr, niedrig, gebildet aus schwarzen Ranken, mit kleinen, tropfenförmigen Blättchen.

„Was ist?“ fragte Eluard und trat hinzu.

„Schau doch“, sagte Waldemar und wies mit dem Finger.

Der Busch war bewohnt von winzigen schwarzen Spinnen, es mussten Tausende sein und mehr, und sie alle hatten Netze gebaut, kunstlos, einfache waagrechte Gewebe, zwischen Ästchen und Blättern ausgespannt gleich Hängematten.

Am Tag waren die Netze wohl gar nicht zu sehen, zu fein und durchsichtig waren die Gespinste.

Nun aber war jeder einzelne Faden von Tautröpfchen benetzt, dicht an dicht, und durchdrungen und durchwoben war der ganze Busch von weißer Watte, umsponnen wie der Kokon einer Seidenraupe.

Das Morgenlicht ließ die Weiße erschimmern, die Tautröpfchen glitzerten.

Die winzigen Fäden umhüllten die Blätter, die Ästchen, die Dornen, der Stauch war in sich selbst verwoben, der Morgen goss einen flüchtigen roten Hauch über ihn aus.

„Das ist … wie ein großes Haus“, sagte Waldemar.

[…]

Die kleine schwarze Katze kam hochbeinig durch das nasse Gras gestelzt, und dabei leckte sie sich das Schnäuzchen, mit flinker roter Zunge. Sie ging geradewegs zu den Kaufleuten und setzte sich neben Magdalena nieder, auf die Hinterbeine, den Oberkörper aufgerichtet, die Schwanzspitze schlang sie um die Vorderpfoten.

So saß sie da und betrachtete die Kaufleute, reihum.

„Na, hast du gut gefrühstückt?“ fragte Inge.

Die kleine schwarze Katze schaute ihr sehr freundlich in’s Gesicht, wobei sie blinzelte, und dann begann es sich in ihrem Bauch zu regen, grummelnd und murmelnd, stieg zur Brust hoch, die Speiseröhre empor, und die kleine schwarze Katze streckte den Kopf vor, schloss die Augen und legte die Ohren zurück, was ihr einen verinnerlichten Ausdruck verlieh, und öffnete das Mäulchen.

Und dann rülpste die kleine schwarze Katze, lang, deutlich und ausgiebig.

„Zufrieden mit der Antwort?“ fragte Aslan und lachte.

„Haha“, sagte Inge, „ich wusste gar nicht, dass Katzen rülpsen können …“

„Na, da siehst du’s“, meinte Roger, und sie betrachteten lächelnd die kleine schwarze Katze, die ganz unbefangen zurückschaute.

[…]

Schnell trank die Sonne den Morgendunst hinweg, die Vögel sangen wieder.

Das blasse Grau, der Raureif des Morgens, verschwand von den Blättern, den Gräsern, und das Grün begann zu leuchten, das Grün des hohen Sommers, über dunklen Baumstämmen, auf dichten Wiesen, zwischen den schon gelbenden Ähren.

Die Ochsen lagen im Gras, das schwarze, ebenholzglatte Fell fing die Sonnenstrahlen auf, Wärme drang in die mächtigen Körper, dass sie sich behaglicher entspannten.

Sie käuten wieder, langsam, gründlich, mit gleichmäßig mahlenden Kiefern.

Die Sonne stand über den Baumwipfeln, wärmte, erhellte, trocknete, der Tau schwand dahin.

Fern in den Wäldern rief ein Kuckuck, flötend lockendes Geräusch, und Grand Mère lauschte schläfrig.

„Müssen wir bald weiter?“ fragte sie, fast ohne die Lippen zu bewegen.

„Noch nicht“, antwortete Aslan, „wir können uns noch Zeit lassen.“

Magdalena saß gegen einen Baumstamm gelehnt, die Arme schlaff zur Seite ausgebreitet, und bot das Gesicht mit den geschlossenen Augen der Sonne dar.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 01.11.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)