Morgendunst

Leise senkte sich Dunst auf die Wälder, grauer Morgennebel, und es wurde hell; bleich und kühl.

Schimmernd setzten sich Wassertropfen ab auf den Gräsern und Blättern, Raureif der Frühe, und der Himmel war fast weiß, weit noch war der Weg bis zum Sonnenaufgang.

Die Straße hatte sich entfernt vom Fluss, und auch von dem Altwasserarm, an dem die Kaufleute gestern Abend gelagert hatten; hier war nur Wald, mit trockenem Boden, und kleine Lichtungen öffneten sich.

Roger lief immer noch vorweg, durch die blasse Morgendämmerung, mit steifen Beinen.

„Hallo, Roger“, rief Aslan, „dort ist eine Wiese … da können wir rasten.“

Grand Mère schreckte hoch mit einem murmelnden Laut, sie hatte fest geschlafen, neben Aslan auf dem Kutschbock sitzend, den Kopf gegen den Planenaufbau gelehnt. „Was?“ fragte sie und blickte sich verständnislos um, sie brauchte immer einige Zeit, um zu begreifen, wo sie war, wenn sie aus dem Schlaf hochgescheucht wurde.

Aslan wies zur Antwort mit dem Peitschenstiel, den er gewohnheitsmäßig zur Hand genommen hatte, hinüber auf die Wiese, und dorthin führte Roger die Ochsen, in das nasse Gras, und das zweite Gespann folgte von selbst nach, auch Inge war ein wenig eingenickt gewesen, doch sie erwachte, als der Wagen den Bogen schlug.

„Endlich!“ ächzte Grand Mère, „das war eine harte Nacht!“ Sie stieg ab, der Rücken tat ihr weh, und sie musste erst ein paar Schritte auf und ab humpeln, bevor die Gelenke wieder geschmeidig wurden.

„Oh, meine Knie“, jammerte auch Inge. „Was bin ich steif geworden!“ Und sie streckte und reckte sich, dass es knackte, und dann gähnte sie ausgiebig.

„Machen wir was zu essen“, schlug Roger vor, und Grand Mère nickte.

Die beiden Jungen kamen vom Wagen herunter, mit blassen Gesichtern und sehr unausgeschlafen.

„Ich bin noch so müde!“ sagte Waldemar protestierend, und er blickte sich um, kühl und nass war die Wiese im Morgendunst. Die Vögel hatten schon aufgehört zu singen, sie hüpften am Boden und suchten nach Nahrung, vor allem die dicken Amseln hatten gar keine Scheu, sie kamen den Menschen ganz nahe, man musste achtgeben, im hohen Gras nicht unversehens auf sie zu treten.

„Brrr, ist das kalt“, klagte Waldemar wieder, und er hatte Grund dazu, denn die Wiesengräser reichten ihm bis über den Bauch, mit den grauen Tauperlen.

„Nun komm doch hier rüber“, sagte Inge lachend und zog ihn am Arm, „hier steht es nicht so hoch, du bist aber auch dumm …“

Eluard befand sich anders, nach der Art empfindlicher Menschen machte ihn die Übermüdung lebhaft, ein bisschen überdreht, er bewegte sich hastig und redete viel.

Aslan und Roger schirrten die Ochsen aus, wortlos und geübt, und die Tiere streiften auf der Wiese umher, leckten im nassen Gras, dann legten sie sich nieder.

„Essen wir was“, sagte Aslan, denn Grand Mère war mit den Vorbereitungen fertig, und sie machten sich über die Brotlaibe her, und über den Käse.

„Was ist mit Mama?“ fragte Inge.

„Ich glaub, sie hat die ganze Nacht geschlafen“, antwortete Grand Mère, „ich bring ihr nachher etwas zu essen, und vielleicht will sie auch ein paar Schritte gehen …“

Sie schwiegen, blass vor Übermüdung, und aßen. Missmut hatte sie gepackt, schwer wurden ihnen die Bewegungen, sie hätten am liebsten die Arme sinken lassen und geschlafen, geschlafen … aber das ging ja nicht.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 26.10.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)