„Wie das aussieht!“ rief Waldemar begeistert. „Schau nur, sieh doch bloß, wie ein Schiff, nicht wahr, ja, wie ein Schiff …“
Er wies mit aufgeregter Gebärde durch die offene Plane hinaus, und da gluckerten und kreiselten die zurückweichenden Strudel im Wasser, von den schweren Tropfenschauern der sich hebenden Speichen überschüttet, im weißen Schaum des Mondes.
„Ja“, antwortete Eluard, „wie ein Schiff …“
Wenn man genau hinsah, war da etwas wie ein bräunlicher Schimmer im Wasser, oder auch von mattem Gelb, lehmig, das kam von den schweren Tritten der Ochsenhufe, die wirbelten den Grund auf, dass er sich kreiselnd mit dem Wasser vermischte, und blieb zurück in dem blanken Mondwasser eine breite Spur, die bezeichnete den Weg, den die Gespanne genommen hatten; doch nicht mehr als zwei Stunden, dann würde sich der aufgewühlte Schlamm wieder gesenkt haben.
Wenn das Wasser wieder gefallen sein würde … vielleicht würde man dann eine tief eingegrabene Fahrrinne entdecken, von Schwemmsand und Schlick nur leicht überlagert? Wer weiß, wie überhaupt die Fläche aussehen mochte, wenn das Wasser zurückgegangen war.
„Hier wächst nicht viel“, sagte Waldemar altklug. „Bestimmt ist hier jedes Jahr eine Überschwemmung, regelmäßig …“
„Wieso?“ fragte Eluard.
„Schau mal“, antwortete Waldemar und erklärte es ihm, „es wachsen gar keine Bäume, nicht einmal Sträucher, nicht wahr? Was da liegt, ist alles Schwemmholz. Aber dort“ – er wies mit ausgestrecktem Zeigefinger an kurzem Arm – „dort ist Wald, und dahinter“ – er winkte nach der entgegengesetzten Richtung, nach der, in der sie sich bewegten – „und dahinten auch. Also, nicht wahr, eigentlich müsste hier doch auch Wald sein, wenn das aber jedes Jahr überschwemmt wird, hier, dann kann da nichts wachsen, ein paar Gräser vielleicht, aber sonst nichts, nicht wahr … stimmt doch?“
Er sah Eluard zweifelnd an, das war eine richtige Theorie, was würde Eluard dazu sagen? Eluard war klüger als er, das hatte Waldemar akzeptiert, ohne sich darüber Gedanken zu machen, auch war sein Freund der Sohn eines Maître, was Theorien anbelangt, da hatte er ein gutes Wort mitzureden …
Eluard sah grübelnd hinaus auf die Wasserfläche, er hatte schon mehr als einen Wald gesehen, der regelmäßig unter Wasser stand, wochenlang, und dennoch wuchernd gedieh, dann schaute er Waldemar an und rief mit heller Stimme: „Ja, das stimmt, du hast recht, das könnte es wirklich sein … jaja, natürlich, das ist es …“ Er war ganz aufgeregt, er sah, viele Dinge sind möglich, das eine mag stimmen aber das andere auch, eine Einsicht war da, man sah die Dinge und konnte sie sich erklären, durch einfaches Nachdenken und Deuten der Zeichen, aber neben der gefundenen Erklärung warteten noch andere, die sagten vielleicht das genaue Gegenteil, und siehe, im Hintergrund mochte es eine umfassendere Erklärung geben, die setzte alle Widersprüche in’s Rechte, so wie auf der Wasserfläche die stillen Seerosenblüten schwammen, jede für sich, aber unten am Grund, da war die eine Wurzel, der entsprangen sie alle, und wenn man hinuntertauchte, konnte man die Stängel sehen, entsprangen alle der einen Wurzel, und trugen oben an der Fläche die träumenden Blüten unter dem Mond …
Waldemar strahlte. Er hatte etwas gefunden, ja, wirklich, und er sah hinaus auf die wirbelnde Spur und empfand etwas wie Besitzerstolz, als wäre das schimmernde Gebreite draußen sein Eigentum geworden, und in gewisser Hinsicht stimmte das auch.
Eluard lehnte sich über das Schlussbrett, und sie spähten mit vermehrtem Interesse.
Ein kleiner, länglichrunder Gegenstand kam geschwommen, pfeilschnell, zeichnete sich etwas heller ab von dem dunklen Wasser.
„Schau mal!“ rief Eluard. „Eine Schildkröte!“
„Wo?“ fragte Waldemar und beugte sich weit hinaus, „wo denn? Ich seh sie nicht … ah da, ja, da ist sie, das ist eine Schildkröte – “
Ein Stück entfernt von den Wagen hielt das Tier inne in seiner schnellen Flucht, stand paddelnd auf der Stelle, dann streckte es den schlanken Krötenkopf aus dem Wasser, und die schwarzen Knopfaugen funkelten gefräßig.
„Wie sie schwimmen kann!“ sagte Eluard bewundernd. „Auf dem Land können sie kaum kriechen … und sie beißen, haha, ich hab mal eine Frau gesehen, die hat am Fluss Wasser geholt, also da war so eine flache Stelle, weißt du, mit ganz ruhigem Wasser, also und die Frau ist da hingegangen und hat Wasser geschöpft und ich weiß nicht, was sie gemacht hat, irgendwie in den Wasserpflanzen gewühlt oder so, auf einmal hat die gekreischt, ich kanns gar nicht sagen, und dann ist sie hochgesprungen, haha, und hat am Finger eine Schildkröte hängen gehabt …“
„Haha!“ lachte Waldemar.
„Ja, und die Kröte hat natürlich gleich wieder losgelassen, und das hat geplumpst, als sie wieder in’s Wasser gefallen ist, haha, ich kann dir sagen … und die Frau hat gekreischt, das hat gar nicht wieder aufgehört, so: hiiih, hiiih …“
„Hahaha!“ rief Waldemar und warf sich auf den Rücken.
Vorne, auf dem Kutschbock, drehte sich Inge um und lachte auch, obwohl sie nicht verstehen konnte, was die Kleinen redeten.
„Aber gebissen hat die, das war nicht zu glauben, die Frau hat richtig geblutet, und dazu hat sie gekreischt und den Arm immer in der Luft herum geschwenkt, so …“ Er schwenkte den Arm kreiselnd, wie ein Windmühlenrad.
Waldemar wälzte sich.
Und Inge spitzte die Ohren.
„Ja, haha, so war das, haha“, sagte Eluard erschöpft, und sie wischten sich die Augen und schauten weiter hinaus auf den Teich, den Mondsee, sie waren überwach und aufgeregt, leicht saß ihnen das Kichern, es brauchte gar keinen Anlass.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 20.10.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)