Und darin gründete das Glück. Ach ja, richtig, das Glück. Da waren Pfade gewesen, voll unauslotbaren Dämmers, fern lagen Behausungen zurück, bei denen hatte niemand zu sagen gewusst, ob dort oben, in den Höhen, noch Menschen wohnten, ein Pfad war da, wohl, doch nie benutzt … ja, Glück zu auf die Reise, Wanderer …
Und Aslan war gegangen, gefolgt dem überwachsenen Pfad, hinauf hatte der ihn geleitet in die Berge, in schlanken Windungen Steilhänge erklommen, dass er hinuntersehen konnte in’s Tal, und oben warteten die Wälder … und mit jedem Schritt wurde der Weg ungebahnter, der Pfad verlor sich, zusammendrängten sich die Bäume, Gesträuch wucherte, und Aslan kletterte empor, weiter und weiter, unten lag die Ebene, und oben … was? Er wusste es nicht, vielleicht war dort die Wildnis, ein paar Dörfer, Städte, unbewohnt und überwachsen, nur die Tiere gingen ein und aus, und niemand, der ihm den Weg hätte sagen können, niemand, ihn weiterzuweisen, niemand, ihn festzuhalten … und da war es gekommen, das Glück. War gekommen, als er den Gebirgshang emporkletterte, tief unten im Tal, tageweit entfernt, die letzten Behausungen, und der Pfad überwachsen, verloren – da war es gekommen, das Glück. Ein sehrendes Gefühl von Verlassenheit und Nichtung, endlich, endlich, von Einsamkeit.
Kristallene Stille der Einsamkeit.
Verzehrende Fluten von Glück, Goldglanz in zerschwebender Bläue, dass er sich niedergesetzt hatte auf der Erde und geweint, und saß dort, bis der Abend kam, grau und leicht, und ihn einhüllte, den Berg, die Ebene, und versunken war er in eine tiefe Stille, dergleichen er nie gespürt.
Das war das Glück gewesen.
Das Glück der Einsamkeit.
Das Glück der Weglosigkeit.
Warum hatte er es verlassen? Jenseits des Glückes lag nur die Umkehr, oder der Tod.
Er hatte die Umkehr gewählt, weil ihm zum Tode der Mut fehlte, vielleicht war da auch irgendwo in seinem Herzen noch Hoffnung, Hoffnung, die große Betrügerin, Hoffnung, der Spott der Welt …
Es knarrte und rumpelte, ja, hinter ihm, und er lief immer noch gleichmäßig, ruhig, einen Schritt vor, den hängenden Arm nachschwingend, die Faust leicht geschlossen, den nächsten Schritt vor, er wanderte, er wanderte vor den Wagen im Mondschein.
In den Sträuchern und Gräsern des Wegrandes wimmelte es von Glühwürmchen, grünes Geglitzer, es sah aus wie ein zweites Firmament, an dunklen Stellen verlor das Auge die Perspektive, war nicht mehr imstande auszumachen, wie weit entfernt und wie groß die leuchtenden Käferchen waren, so dass die Dunkelheit unter jedem Strauch zur Unendlichkeit wurde, unauslotbare Tiefe mit grünen Sonnen in schwarzer Allnacht …
Aslan schaute träumend hinein in das schwarze Funkeln, es begleitete die Wege der Sommernächte, und glänzte und kündete.
Er fühlte sich warm und geborgen in seinem Körper, so war das immer, wenn er lange und gleichmäßig lief, die Beine, die Arme, alle Muskeln bewegten sich von alleine, er musste nichts dazu tun, er saß in sich selbst, ganz ruhig und behaglich, und schaute zu den Augen hinaus und sah zu, wie es voranging, immer weiter, fortgetragen wurde er von seinem Leib, wegentlang, wie von einem behaglichen Fahrzeug, das ihn entführte, ohne dass er wusste, wohin, ohne das Ziel zu kennen, willenlos.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 02.10.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)