Altarm

Auf der anderen Seite des Weges, am flachen Ufer des toten Flussarmes, waren die Weiden und Erlen ganz zurückgetreten, man konnte ungehindert an’s Wasser gelangen, grün war der Spiegel, dicht bewachsen von Wasserlinsen.

Eluard schaute.

Zwischen Weg und Ufer hatte jemand eine hölzerne Barriere angebracht, eine Art Geländer, waagerechter Holzbalken auf drei kurzen, dicken Pfählen, tief in die Erde gerammt, und Eluard setzte sich darauf, umgriff den Balken mit den Händen, und dann begann er, sich hin und her zu wiegen, versunken, mit schwingenden Beinen.

Das Ufer bildete vor dem Geländer eine kleine Bucht, zu deren Seiten stand dicht das Schilf, drehte seine schmalen Blätter mit dem Wind, und es rauschte, mit gläsernem, gleichmäßigem Ton, flirrend.

Schachtelhalme wuchsen im Ufergrund, aber sie schienen nicht recht zu gedeihen neben dem Schilf, blieben niedrig und vereinzelt.

„Die Sonne kommt gleich durch“, sagte Waldemar, der hinzugetreten war, „und Grand Mère macht das Abendbrot.“

„Setz dich auch hier hoch“, antwortete Eluard, und Waldemar schwang sich auf den Balken, dass er saß wie auf einem Pferd, die Beine beidseitig herabhängend. Er warf einen gespannten Blick zurück zu den drohenden Pappeln, die Wipfel waren übergossen von rotem Schimmer, als ob das dunkle Laub von innen glühe.

Auch das jenseitige Ufer war dicht bestanden mit Schilf, das wuchs weit hinein in’s Wasser, und dazwischen versteckten sich kleine Blässhühner, sie waren sehr scheu. Hinter dem Schilf erhob sich undurchdringliches Weiden- und Erlengebüsch.

„Hör mal, wie es gluckert und ruft“, sagte Eluard. Geräusche waren in dem dunklen Wasser, ab und zu plumpste etwas auf, gefolgt von einem helleren Plitschen, als hätte man einen Kieselstein hineingeworfen, das war vielleicht ein Fisch gewesen, oder ein Frosch.

An einigen Stellen trieben die Wasserlinsen auseinander, dort quoll das Wasser hervor, schwarz und blank.

„Wie dunkel es dort unten sein muss!“ rief Waldemar. „Bestimmt lebt dort irgendwo ein Hecht …“

„Ein Hecht?“ fragte Eluard.

„Ja“, antwortete Waldemar. „Sie verstecken sich gern zwischen den Schilfrohren, und dann schießen sie hervor, wenn ein Fisch kommt, den sie fressen wollen …“

Da war also ein Wald am Grund des Wassers, in der schwarzen, kühlen Flut, ein Wald aus dünnen hellen Röhrenstängeln, dicht an dicht, und ein Raubfisch konnte sich dazwischen verstecken, wie darüber die Blässhühner, und die Rohrdommeln …

Ein Strom von durchsichtigem roten Licht ergoss sich über den Flussarm mit den Wasserlinsen, über das Schilf, über die Weiden und Erlen, über die Pappeln, die flüsternden Pappeln, über die Wagen und Tiere und Menschen.

War die Welt in Glut getaucht, für einen Augenblick.

In dem hellen Streif am Horizont, dem gläsernen Abendsee, stand als roter Feuerball die Sonne, und die Bäume tranken das Licht, die Blätter.

„Wie groß sie ist, schau mal“, flüsterte Eluard.

Aus Purpur gewoben war der Feuerball, dunkel und groß, am Rand des Horizontes. In fliehende Schiffe verwandelten sich die Wolken, befuhren den Himmelssee, mit wehenden Segeln aus Rot und Grau, auf dem Blei des dunkelnden Himmels.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 14.09.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)