Das Hochgeleucht hatte lange Zeit unwidersprochen als Inbegriff der Moderne sich ausgelobt. So unwidersprochen, dass weitgehend die Geschichte des Hochgeleuchts, die Geschichte im Zeitalters des Hochgeleuchts, wie man in vollem Ernste sagte, mit den Propagandatermini des Hochgeleuchts selbst geschrieben worden war. Als könne es abständiges Nachdenken in dieser Frage gar nicht geben. Das Götzenbild des Hochgeleuchts verschwand hinter dem wabernden Weihrauchnebel, den die Anbeter des Götzen selber schufen. Allmählich aber wurde der globalen Öffentlichkeit klar: die Moderne, das ist nicht das Hochgeleucht. Die Moderne, das ist der Markt. Freier Markt der Gedanken, freier Markt der Waren. Das Hochgeleucht, das war die antimoderne Revolte. Die Revolte der Stiefel der Mützen der Taschen gegen die freie Aushandelung der Ideen der Waren auf dem Markt. Auf dem Markt wird die Wirklichkeit verhandelt, die antimoderne Revolte aber will die Zwangsorganisation der Wirklichkeit nach Ideen. Nach menschlichen Ideen, versteht sich, was lächerlich ist, denn noch so komplexe menschliche Ideen sind doch immer nur menschliche Ideen, und vermögen die Wirklichkeit nur bruchstückhaft zu fassen. Die antimoderne Revolte hingegen wollte mit ihren Ideen und Wahrheiten die ganze Wirklichkeit in ein Zwangssystem pressen. Die antimoderne Revolte des Hochgeleuchts gehört in dasselbe Lager wie die antimoderne Revolte der Bartbarbaren, die überkommene Heilige Bücher schwangen, oder neu erfundene Heilige Bücher, was das anbelangt.
Das Hochgeleucht, das war Hassattacke gegen die Wirklichkeit.
Das Hochgeleucht, das war antimoderne Revolte, Revolte gegen das Morgen und seine Unvorhersagbarkeit, Revolte gegen die Wirklichkeit.
Was war der innerste Kern des Hochgeleuchts?
Was der innerste Kern jeder Ideokratie ist. Was der Kern der gestiefelten der mützentragenden der taschenschwingenden Wirklichkeitsberaubung war, jederzeit und überall: die Lust am Massaker.
Als die Revolutionäre ihre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte über die Welt brachten, schwollen sie vor Kompetenz. Endlich Wahrheit! riefen sie, unwidersprechliche unwiderlegliche Wahrheit über den Menschen, den Menschen in seiner Welt, Wahrheit in Sätze gepresst, Wahrheit festgelegt, Wahrheit deklariert und dokumentiert, Wahrheit, deren Wahrheit nur Feinde nicht sehen wollen, Gegner des Menschengeschlechts, Widersacher, Abermenschen!
Sie waren durchdrungen von ihren Überzeugungen, sie sahen an ihre Überzeugungen und fühlten, anders kann Welt gar nicht gedacht werden. Wird Welt anders gedacht, dann nur aus Böswilligkeit. Oder aus Verblendung. Oder aus schierer Dummheit. Alles möglich, versicherten sie, aber auch alles behebbar. Alles heilbar. Zur Not mit dem Hackebeil. Nein. Nicht zur Not. Vorzugsweise mit dem Hackebeil. Das Hackebeil die Genickschussanlage die Gaskammer die Abtreibungsklinik, das sind die säubernden Operationssäle, in denen wird die Menschheit mit blitzschwingendem Skalpell befreit von ihren Gebresten ihren Geschwüren ihren Geschwülsten! Um heil und gereinigt wiederaufzustehen vom Krankenbett, hinaus in den glanzdurchstrahlten Morgen der berichtigten der gereinigten Wirklichkeit!
Hochgeleucht, das war Reinigung das war Entsorgung das war Säuberung, das war Restmüllabfuhr. Weg mit allem, was stört. Und was stört, das entscheidet der Erweckte. Wenn er nur erst die Macht hat.
Das hocherweckte Menschtier ist durchdrungen von Ideen, von den Ideen des Hocherwecks. Das hocherweckte Menschtier hält seine idiotische Durchdrungenheit für Ausweis von Evidenz. Es muss einfach so sein, schreit es, das fühlen wir doch alle!
Es fühlt so laut, dass es brüllt und jubelt, das durchdrungene Menschtier, rennt durch die Straßen, schwingt die Arme dreschflegelgleich.
Rennt alle mit, jubelt alle mit, endlich ist Wahrheit geworden, die neue Zeit steht vor der Tür!
Revolution als Remmidemmi, als Gaudi, als Straßenfest, an dessen Höhepunkt den Feinden die Augen ausgestochen werden.
Das Menschtier sollte sein, was es sowieso ist: durchdrungen von Wirklichkeit.
Das hocherweckte Menschtier ist durchdrungen von Ideen.
Diesen Defekt hält das hocherweckte Menschtier für sein Mehr. Bisher, so sagt es, haben die dumpfen Bartel nur in der Wirklichkeit gewühlt, wir aber haben die Ideen.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 13.09.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)