Lagerplatz

„Ein Lagerplatz“, sagte Aslan, „sieh an.“

Da lag ein schmaler Wiesenstreif zur Linken des Weges, über den hob sich eine Gruppe schwarzer Pappeln, rissig die Rinde, und die Blätter flüsterten und wisperten unentwegt, vom Wolkenzug über weiten Ebenen erzählten die dunklen Bäume, von murmelnden Quellen unterm Regenhimmel, von der Einsamkeit bunter Flussinseln.

Hoch waren die Pappeln, sie hatten den Regen berührt.

In den Teich aus geschmolzenem Gelb, fern am Horizont, floss ein roter Schein, zartes Orange, färbte den Rand der Wolken, dass ein dunkles Glosen ihnen wurde, Glutrand.

„Hier wollen wir rasten“, sagte Aslan.

Er rief den Ochsen zu und leitete sie an, die Tiere stampften schwer hinüber mit den Wagen auf den Wiesenstreif, da wuchsen Schwertlilien, und Räderspuren hatten sich in den Boden eingedrückt: hier waren andere schon gewesen, und öfters, doch nicht in den letzten Tagen, das Gras war aufgerichtet.

Die Pappeln rauschten auf, aus dem Glutrand im Osten kam ein Wind gesprungen, leicht und kühl und trocken, und die Gräser wiegten sich selig.

Roger kam nachgefahren mit seinem Wagen, die beiden Gespanne hatten gut Platz hintereinander, und die Ochsen blieben stehen, wiegten die Hörner, warteten mit Geduld.

Aslan blickte sich um, an der Wagenplane vorbei nach hinten, er schätzte den Abstand, dann trieb er seine Tiere noch ein Stück weiter nach vorne, dass zwischen seinem Wagen und Rogers Tieren ein Zwischenraum werde, einige Schritt, und so standen sie dann.

Grand Mère seufzte befriedigt und streckte sich. „Eine Stunde Ruhe“, sagte sie, „das wird uns gut tun, ich werde das Essen bereiten, und ihr anderen mögt euch um die Tiere kümmern, und die Kinder sollen sich die Beine vertreten, denn lang wird die Nacht sein.“

Aslan nickte nur zur Antwort und sprang hinunter vom Kutschbock, der Boden war federnd weich.

Die Glut im Osten leuchtete dunkler, drängender, der gelbe Teppich gewandelt in Rot, durchsichtig noch, doch schon erglühten die Kronen der Pappeln.

„Holt mir Holz, ihr Guten“, rief Grand Mère beim Hinabsteigen, und Roger, der vorgekommen war, nickte. Brennholz lagerte in seinem Wagen, noch ausreichend für ein paar Tage, und nun würde der Regen ja wohl enden.

Er begegnete Waldemar und Eluard, die hinten abgestiegen waren, Waldemar war ganz munter, aber Eluard bewegte sich steif, er hatte sich noch nicht an die langen Fahrten gewöhnt, immer noch nicht, auf dem harten Holzboden der Wagen.

Inge stieg hinein zu Magdalena.

Der kühle Wind rauschte auf, und gleich begannen die Pappeln zu flüstern und zu wispern, in vielfacher Rede, dass es klang wie erregte Stimmen.

Waldemar blieb stehen und starrte wie angewurzelt hinauf in die Kronen. „Warum machen sie das?“ fragte er.

„Schau sie dir an“, antwortete Grand Mère, die die Feuerstelle vorbereitete. „Sie haben runde Blätter, siehst du, und die sitzen an ganz langen Stielen, so bewegen sie sich bei jedem Hauch.“

„Ja“, sagte Waldemar. Die Blätter zitterten und wirbelten um und um, hochauf ragten die riesigen Bäume in den Regenhimmel, blauschwarz fast war der geworden, und von der Seite leuchtete die Glut der untergehenden Sonne, und die Kronen rauschten und wiegten sich im Wind, bewegten sich wie große Tiere, voll Willen und dunkler Kraft.

„Ich hab Angst vor ihnen“, sagte Waldemar beunruhigt und trat einen Schritt zurück.

„Aber nein“, sagte Grand Mère unaufmerksam, „sie tun dir ja nichts. Hör nur, wie sie reden! Sie erzählen sich Geschichten.“

Und die Bäume rauschten.

Inge war hineingestiegen zu Magdalena, die lag im Dunkeln und jammerte.

„Wo bleibst ihr alle so lange?“ fragte sie. „Ich bin hier so allein.“

„Ach“, sagte Inge traurig und beugte sich über sie und nahm sie in die Arme, „wir sind doch da, es ist nichts. Liebe Mama.“ Sie streichelte ihr den Kopf und küsste sie.

„Ich muss mal raus“, sagte Magdalena, „du musst mir helfen.“

„Das wird schon gehen“ erwiderte Inge, „ich rufe Aslan, dass er dich runterträgt, aber wir müssen dir eine Decke umhängen, es ist kühl geworden draußen …“

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 12.09.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)