„Wir könnten bald mal anhalten, was meinst du?“ fragte Inge.
„Durchaus“, antwortete Roger. „Aslan wird einlenken, sobald ein geeigneter Platz gefunden ist …“
Er schaute ernsthaft auf die schaukelnden Ochsenrücken, die wiegten sich in beharrlichem Gleichmaß, groß war die Kraft der Muskeln unter dem schwarzen Fell.
„Das wird eine lange Nacht“, fuhr Inge fort, „und ein langer Tag … Grand Mère hat sicher recht, und es wird aufklaren … wir haben Glück, unangenehm ist es, im Dunkeln zu fahren, es muss einer vorangehen mit der Laterne, bei Mondschein aber finden die Ochsen ihren Weg alleine …“
„Hör mal, eine Amsel“, unterbrach sie Roger.
Die klaren Töne glitzerten über dem Weg, eine lange Melodie, und Inge lauschte.
„Dort oben sitzt sie“, sagte Roger und wies mit dem Kopf.
Inge schaute.
„Ja“, sagte sie leise, „ich seh sie …“
[…]
Die Amsel saß im Wipfel eines Ahornbaumes, zwischen den feinziselierten Fingerblättern, weit und weiß waren die Wolken geworden.
Am westlichen Horizont glomm leise Glut auf, dort zog sich die Decke sanft vom Himmel.
Weicher, grauer Abend.
[…]
Weiden und Erlen, dichtes Gebüsch, rund und wirr die Baumköpfe, rotbraun die Stämme, runzelig.
Silbernes Weben über dem grünen Vorhang: weiß bepelzt waren die Unterseiten der Weidenblätter, die kleinen Lanzetten, und sie rührten sich im Wind, flimmerten.
Dahinter verbarg sich ein langgestreckter Altwasserwarm, zur Rechten des Weges, stehendes Gewässer, bald seit einer halben Stunde fuhren die Kaufleute an ihm entlang, und wollte noch kein Ende nehmen. Selten öffnete sich das Gebüsch, gab einen Blick frei auf die Wasserfläche, die war zugewachsen von Entengrütze, dicht und fest, sah aus wie eine gute, befahrbare Straße, hellgrün und eben. An wenigen Stellen, vor allem dem Ufer zu, glänzte das schwarze Wasser hervor.
Still war es, die Kaufleute lauschten, hoch oben in den Bäumen sangen die Abendvögel, aber zwischen den Weiden schwieg es, nur gelegentlich tönte Gluckern, irgendein dumpfes Sumpfgeräusch; ein Quaken, das Rispeln leiser Binsen, ein schnarrendes Rallen, dann ein plumpsender Wasserlaut.
Die Ochsengespanne knarrten, und mahlten sich ihres Wegs,
„Geheim ist das Leben der Sümpfe“, sagte Grand Mère scheu, „Vautrin hat es verborgen vor uns …“
„Ein guter Weg ist hier ausgelegt“, antwortete Aslan. „Wir haben nicht zu fürchten, dass wir in die Irre gehen.“
Doch drückten die Räder schwerer in den Grund, der Boden war feucht geworden und nachgiebig.
Die Glut am westlichen Horizont verdichtete sich, dem fließenden Gelb zog sich ein geschmolzenes Rot zu, noch stand der Sonnenball über dem Abend: die graue Wolkendecke floss ruhig nach Osten, und nach und nach gab ihr Rand den westlichen Himmel frei, ein heller Streif entstand, verbreiterte sich allgemach, in östlicher Richtung, ein weniges noch, dann würde die sinkende Sonne in dem Streif erscheinen.
Noch stand sie zu hoch, vom ziehenden Wolkenrand verdeckt, doch warf sie die Farben ihres Untergangs voraus, dass der Horizont angefüllt war von schmelzendem Gelb, wie ein tiefer See, der Schicht um Schicht zu unendlicher Durchsichtigkeit ermattet, und die Weidenblätter zitterten, flüsterten, die flimmernden Härchen der Unterseiten leuchteten auf im Abendwind.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 10.09.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)