Die Ulmen II

Wandelte sich das Leben. Kleine Tierchen erschienen, winzige Tröpfchen aus Schleim, von unbegreiflichem Wandel, Kern und weiche Außenhaut, gefüllt mit wasserklarer Flüssigkeit, die zogen ihre Wege am Grund, streckten fließende Füßchen aus dem Leib, die umschlossen die Wesen, umschlossen verwesende Pflanzenteilchen, zersetzten sie, nahmen sie auf als Nahrung, zogen die Füßchen wieder ein, streckten an anderer Stelle neue hinaus, von wandelnder Form, Wandel, Wandel, Beharrlichkeit.

Die Tierchen teilten sich, bildeten aus sich selbst zwei neue Tierchen, das war die Unsterblichkeit.

Aber das Leben formte sich und bildete Gestalten. Da tauchten andere Tierchen auf, kaum erkennbar dem bloßen Menschenauge, langgestreckt nahmen sie ihren Weg durch’s Wasser wie kleine Kähne, von einem Kranz von Wimpern umgeben, der zitterte unausgesetzt, von vorne nach hinten, das war wie Tausende kleiner Ruder, die trieben das Schiff, und es nahm seinen Weg.

Und gediehen andere Gestalten, die setzten sich fest an den modernden Pflanzenstielen, an der Schluchtenwelt des Holzes, das das Wasser aufgefangen hatte, an den Chitinpanzern der kleinen Käfer, die zu Grund gesunken waren, und die Gestalten bildeten kleine Trompeten, wimpernumringte Trichter, Blumenglocken an schwankenden Ringelstielen; und sie sahen zu, ihre Nahrung zu finden.

Kam dann der Herbst, und das schwarze Wasser erschauerte. Die Tierchen zogen sich zurück, umhüllten die Leiber mit einer harten Kapsel, verhornender Schleim, dass sie lagen wie in einem Gemach, einem festumschlossenen Bett, darin schliefen sie und verträumten den Winter. Und das Eis kam bis auf den Grund, Schnee deckte darüber, schimmernd und müde, und die Tierchen regten sich nicht, sie regten sich nicht, und der Winter ging vorüber und zog seines Weges und vergaß sie, vergaß die kleinen Tierchen.

Als der Frühling kam, krochen die Tierchen heraus aus ihren Kapseln, und waren nicht länger allein in dem schwarzen Tümpel, in dem Baumstrunk unter den flüsternden Ulmen.

Vielerlei Hüpfendes tanzte umher, unter dem schimmernden Spiegel.

Da waren kleine Geschöpfe, gut zu erkennen, ruckartig tanzten sie fort, und aufrecht, mit dickem Bauch, rosa gefärbt, und rundem Kopf, der trug große Augen. Über dem Kopf schwangen sie vielverzweigte Arme mit borstigen Fingern, die schwenkten sie auf und ab, es geschah im Nu, ein flirrender Stoß, und das runde Ding hüpfte auf im Wasser, war anzuschauen wie ein dicker Mann beim Tanz, und sie nährten sich von den Schleimtierchen, und den wimperngetragenen Schiffchen.

Anderes tanzte unter der Wasserfläche, rotbraunes Gezucke; Mücken waren gekommen, geboren in den Weihern und Teichen, hatten Eierpakete abgelegt, die schwammen ein paar Tage am Spiegel, dann krochen die Larven heraus. Rote, röhrenförmige Geschöpfe waren das, zogen sich rund zusammen und zuckten wieder auseinander, so schnelzten sie sich von der Stelle; meist aber hingen sie reglos an der Oberfläche, den Kopf nach unten, senkrecht, und am hinteren Ende war die Atemöffnung, umgeben von einem Kranz feiner Härchen, die spannten das Wasser ab, und das seltsame Tier atmete.

Oft zuckte es zu Grund, suchte Verwesung und Fäulnis, denn davon nährte es sich; fand dergleichen auch viel schwebend im Wasser.

Nicht lange, und sie verpuppten sich, und wenn es warm war, dauerte es nur wenige Tage, unförmig hingen die Kolben unter dem Wasserspiegel, ein Atemrohr nach oben gestreckt, und dann schlüpfte die Mücke aus, mühselig zog sie sich aus der Hülle, mit den gläsernen Flügeln, die waren noch zerknittert, und den fadenfeinen Beinchen. Lange blieb sie sitzen, auf der Hülle, treibend auf der Wasserfläche, bis die Flügel getrocknet waren, bis die Kraft wiedergekehrt war, und dann flog sie davon, und die Hülle blieb zurück, verging, verweste, sank zu Grund, und ward Nahrung.

Winzige Würmer auch waren aufgetaucht, weiß und zart, ganz flach, die bewegten sich voran in kriechenden Wellen, wie Schnecken das tun, und trugen zwei dunkle Augen auf dem dreieckigen Kopf. Sie weideten in den Wiesen der Tierchen, die festsaßen am Grund und am Holz des Strunkes, in den Wiesen der Trompeten und Glocken und Blütenkelche, und fraßen sich breite Bahnen, doch weit und groß war ihre Welt, kaum durchmessbar.

Sonnenflecke fielen auf den Tümpel, das schwarze Wasser des Ulmenstrunkes, ein paar wenige Stunden des Tages, und das Licht wärmte und nährte und schuf grünendes Leben, bald wehten Algenfäden herauf aus dem Dämmer, teilten ihre Zellen, mehrten sich, lichter wurde es unter dem Spiegel.

Und bizarre Tänzer auf gespreizten Beinen erschienen auf der Oberfläche, langgestreckte Käfer tummelten sich, dünn, mit schwarzem Rücken und hellem Bauch, so waren sie geschützt nach beiden Seiten, konnten von oben nicht erkannt werden von den Vögeln und von unten nicht von den Fischen, doch gab es deren ja keine im Tümpel des Strunks. Eilend und leicht huschten umher die Tänzer auf dem Wasser, und sanken nicht ein, befiedert waren ihre Füße, die drückten Dellen in die Spannung der Oberfläche, nicht mehr, und weitbeinig konnten die Tänzer tanzen.

Tanzten durch den Sommer, und tanzten durch den Herbst, da die Blätter fielen.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 04.09.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)