Die Ulmen I

Wasser, die Ulmen spiegelten sich darin. Sie hoben die ausfächernde Geste ihrer Äste in den Regenhimmel, fein gezeichnet die lichten Verzweigungen. Die asymmetrischen Blätter flüsterten im Wind, wiegten sich auf den kurzen Stielen, kaum einmal aufrauschend.

Es hatte nun ganz aufgehört zu regnen, der Nachmittag wurde müder und wolkenhoch, das war der Nachmittag für Pappelreihen in träumerischen Ebenen, für die flachen Ufer alter Flüsse.

Die Ulmen schützten sich, hüteten ihre Dunkelheit, die gesägten Blätter deckten sich übereinander, das Licht abwehrend, das Dämmer bewahrend. Weich floss die Luft durch die Kronen, das war Regenluft, das war Flussluft, Weiher und Träume, schwarze Spiegel und Entengrütze und Schweigen, gesäumt von moorigem Glucksen.

Die Ulmen standen zusammen, eine dunkle Gruppe, wahrten ihre Gedanken, verschwiegen, wie alte Freunde, die nicht mehr reden müssen.

Zeit war um sie, sie hüteten schon den Tod, dahingesunken war in ihrer Mitte eine. Morscher war der Stamm geworden, eine lange Zeit, und hatte getrieben und geblüht und gefruchtet noch über die Jahre, indes es hohl wurde unter der Rinde, dann sank sie dahin, aufrauschend, weich knackte und splitterte das Holz, die Krone verfing sich zwischen den Nachbarn.

Lange hing so die Gestürzte, schräg aufgefangen von den Ästen der anderen, das Laub verwelkte, die Rinde zerbrach.

Und das Holz vermoderte, der Stamm, der hängende Stamm vermoderte, begann zu leuchten in den feuchten Nächten, zerbrach in Stücke, die fielen dumpf auf den Waldboden, da war kein Lärm mehr, kein Aufsehen, Stück für Stück löste sich, und der Stamm fiel endlich, morsch zerschollernd.

Die niedergedrückten Äste der anderen richteten sich auf, die Blätter und Zweige streckten sich, griffen aus, hinein in die Lücke, die die Gestürzte gelassen hatte. Und unten, am Grund, stand der Stammrest, der Strunk, höhlte sich aus, das weiche Holz verfiel, die Rinde blieb stehen, Rinde und Außenschicht.

Die Ulmen umringten den Strunk, fächerten die ausgreifenden Äste über ihn, bedeckten ihn mit dem Laubfall des Herbstes, ließen die Schneeflocken auf ihn niedertanzen, des Winters, ächzten über ihm in den Frühlingsstürmen.

Stand da zusammen die dunkle Gruppe der Ulmen, die wahrten ihre Gedanken, verschwiegen, wie alte Freunde, die nicht mehr reden müssen, und in ihrer Mitte, umschlossen von ihnen, geschützt von ihnen, stand der ausgehöhlte Strunk.

Regen fiel im Frühling, langer, kühler Regen, wischte den Schnee hinweg, tränkte die Moose, die Farne, und die Knospen entfalteten sich, die gesägten Blätter begannen zu wispern, ihr jährliches Lied, in frischer Grüne. Und das Wasser, der tropfende Regen sammelte sich im Strunk, schützend standen die Blätter und Äste darüber, dass es nicht verdunsten konnte, und das Wasser stand, schwarz, von seltsamem Schweigen umwittert, stand, und die Trübe senkte sich, fällte aus auf den morschen Holzgrund, dass das Wasser kristallklar wurde, von Bräune durchzogen. Kleine Spinnen und Käfer stürzten in den schweigenden Spiegel, zappelten eine lange Zeit, gehalten von der Spannung der Oberfläche, bis sie vergingen, und endlich untersanken, irgendwann.

Manchmal fiel ein Blatt, das sank dann schneller.

Kam wieder Herbst, mit glühenden Gebärden, und die weißen Farben des Winters, da schlief das blasse Eis. Und die zitternden Stürme des Frühlings.

Und die hellen Tage wurden länger, stand wieder der schwarze Spiegel, fror flüchtig im Wind, und über ihm rauschten die Kronen, sie hielten einen Ausschnitt des Himmels unbedeckt, der spiegelte sich im stummen Wasser.

Und die ziehenden Wolken.

Leise begann sich Leben zu rühren unter dem schimmernden Spiegel, Leben. Eine lockere Schicht lagerte am Grund, Mulm, zergangene Pflanzenteile, die kleinen Spinnen und Käfer, die Blätter. Braun war das Wasser, und klar und kühl, das machte es schwer dem Leben, und doch gediehen Wesen mit der Zeit, unsichtbare Eile, die zersetzten die Blätter, die toten Tiere, langsam und beharrlich. Wunderlich waren die Formen, unsichtbar dem Auge, von geschäftiger Winzigkeit: Schläuche und Stäbe, Kerne von fließender Flüssigkeit umsponnen, Wimpern und kreiselnde Geißeln, flatternde Schwanzfäden.

Die Ulmen trugen ihre Blätterflut dem Sommer entgegen, dargestreckt die Kronen der Sonne, Wärme flutete herab, durchdrang die Stämme, durchdrang das Blätterdach, erfüllte den Grund, erfüllte das Wasser, leuchtete in die braunseidene Klarheit, die Fluten der Sonne.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 02.09.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)