Maulwurf

Locker war die Erde unter den Wurzeln, locker und luftig, der Maulwurf musste sich nicht anstrengen, seine Gänge zu graben.

Er lag und lauschte, versunken, lauschte mit dem ganzen Körper, spürte nach den Erschütterungen des Bodens, dem Knistern in der Erde, den weich grundierten Tönen sich verschiebender Erdmassen.

Da war etwas, oben. Klang Schüttern herunter, in die murmelnde Tiefe, oh, so gedämpft, umwobenes Poltern, von Erde umsponnen, hinunter in die gute Dunkelheit.

Der Maulwurf tastete, die rüsselartige Nase zitterte, er spürte und hörte, die seidenfeinen Barthärchen vibrierten. Weich war die Erde, süßer Regenduft kam geflossen, über dem Maulwurf waren die Wurzeln, in die Erde gebettet, über ihm waren sie, sich ausbreitend wie seltsame Kronen, mit tausend Armen, sich verzweigend in die tastenden Fingerfasern.

Der Maulwurf war von dem Rumpeln mitten im Gang überrascht worden, er hatte sofort still gelegen, still gelegen und gehorcht, gelauscht, gespürt. War Pochen oben, weich antwortete die Erde, heraus aus ihren Tiefen, Widerklang. Der Maulwurf spürte, ganz umschloss ihn die Erde, der Gang war rund, gerade so weit, dass der Maulwurf ihn ausfüllte, den samtigen Pelz an die Erdwände gedrückt, rundum, und die Erde schütterte leise, und das Schüttern teilte sich dem Pelz mit, von allen Seiten, und der Haut unter dem Pelz, und den Nerven in der Haut, und der Maulwurf lag und spürte und wusste, die weißen starken Grabschaufeln dicht an den Kopf gezogen.

Jeden Tag schob er sich durch seine Gänge, mehrmals, und las seine Nahrung auf. Regenwürmer kamen hindurchgekrochen, Käfer, Larven, Schnecken, gerade so lang waren die Gänge, dass sie ihn nährten, dass sie den festen kleinen Walzenkörper nährten, auf dass er Kraft habe, neue Gänge anzulegen, eingestürzte alte zu erneuern, Erde hochzutürmen, zu graben, zu graben.

Speck zu bekommen auf die Rippen, auch, versteht sich, für die schlechten Zeiten.

Er besaß eine Wohnung, dicht unter der Oberfläche, unter dem Wurzelgestrüpp, unter den Blumen und Gräsern und Kräutern, ein Gemach war das, ein kleiner Kessel, die ausgeworfene Erde erhob sich als Hügel darüber, und geräumig war der Kessel, dass der Maulwurf sich um sich selbst drehen konnte, auf weichem Lager, weich und warm, aus Moos und Laub und flachgelegenen Gräsern, ein rundes Nest zum Ruhen und Schlafen, dunkel und warm, ja, warm wurde es, wenn der Maulwurf darin lag, der schwarze Pelz strömte Wärme aus, und die gute Erde bewahrte sie, mehrte sie, gab sie zurück.

Aber das Schüttern hatte den Maulwurf in den Gängen überrascht, in den Gängen, die sich so gut und nahrhaft um ihn schlossen, dass er ringsum eingehüllt war … jetzt lag er und wartete, wagte sich nicht rückwärts noch vorwärts.

Pochende Laute drangen herunter, und dann, ganz gedämpft, wie Träume, hellere Klänge, in vielfältiger Artikulation, oh, sie drangen durch die liebe Erde, weich, so weich, umspielten die Wurzelfinger …

Und dann begann die Welt zu beben. Ein mächtiges mahlendes Schüttern hub an, die Erdenglocke erdröhnte, der Maulwurf zuckte zusammen, zitterte, versuchte, die Rüsselnase unter den Leib zu bergen, und das schwere Mahlen und Dröhnen hörte nicht auf, begleitet von gewaltigem Stampfen, wie schwerer Holzfall erklang es, und jedes Mal zuckte der Maulwurf zusammen, zuckte mit den Grabschaufeln und den schwachen Hinterbeinen, zuckte mit dem Kopf, um ihn unter den Körper zu bergen, auch die Regenwürmer und die Käfer und die Schnecken rührten sich nicht mehr, verharrten still, wo sie sich gerade befanden, und warteten ab, was wohl geschehen möge, in der Bewegung erstarrt …

Das Schüttern ließ nach, sänftigte sich zu einem schweren Rumoren, das immer weiter verschwand, dunkle Laute versendend, immer sanftere Erbebungen, bis alles wieder still war wie vorher.

Der Maulwurf blieb reglos liegen, nur die Barthaare vibrierten schnüffelnd, er wollte doch abwarten, ob wirklich alles vorbei war, ob es wieder sicher und gut war in der lieben Erde.

Die Stille tiefte sich, wurde toniger und weicher noch, und dann hub das Murmeln an, das Murmeln der Erde, das waren die Bewegungen der Pflanzen, das Graben der Würmer, die tastenden und stelzenden Schritte der Käfer.

Ein Schaudern ging durch den schwarzen Samtpelz: war alles wieder gut. Und der Maulwurf pustete, füllte seine Lungen mit der guten, feuchten Luft der Erde, dunkel war es um ihn und wohlig, die krumigen Gangwände umschmeichelten den kleinen Körper, rundum, und der Maulwurf begann, sich voranzuschieben, im rechten Winkel dem Gang zu wand sich ein Regenwurm, der würde nun nicht mehr lang zu leben haben.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 31.08.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)