Beratung

Das Wiesel blieb stehen, unter dem dichten Haselgesträuch, es blieb stehen, wie es auch Katzen manchmal tun: in der Bewegung erstarrend, die eine Pfote erhoben, zum nächsten Schritt …

Da war etwas auf der Weide, Bewegung und Lärm, und großgestaltiges Gebaren, und war die Fülle der Gerüche fast nicht zu ertragen.

Das Wiesel trug eine Maus im Maul, schlaff hing der kleine braune Körper herunter, die Beine und der lange Schwanz, auf dem Fell über dem Nacken klebten ein paar winzige Blutstropfen, und die Augen waren geschlossen, wie im Schlaf.

Hellgrün leuchteten die Blätter der Haselnusssträucher, die gesägten Blätter mit den feinen Härchen, bildeten einen dichten Schirm über den schlanken, graubraunen Stämmen, und darunter stand das Wiesel, reglos, die tote Maus im Maul.

Seidenweich war der Pelz des kleinen Raubtiers, glänzend erdrot, Kehl und Brust und Bauch schimmerten heller, fast weiß. Gespannt war der schlanke Körper, gespannt und reglos, auf den kurzen, zierlichen Beinen, selbst der buschige Eichhörnchenschwanz rührte sich nicht, alle Aufmerksamkeit war nach vorne gerichtet, auf die Wiese, die feuchten schwarzen Augen spähten, die spitze Nase sog die Gerüche ein, mit vorgestreckten Barthaaren, wie bei einer witternden Katze, die runden Ohrmuscheln suchten jedes Geräusch aufzufangen.

Lärm war dort. Lärm und Fremdheit.

Schließlich rührte sich der angespannte Körper: das Wiesel wandte sich, mit einer geschmeidigen, lautlosen Bewegung, und verschwand zwischen den Büschen.

[…]

Die Ochsen steckten die breiten Köpfe in die Eimer und tranken, mit schweren, gurgelnden Schlucken, und träumend war der Ochsenblick.

Die Kaufleute standen auf der glitzernden Wiese und berieten sich.

„Wir müssen uns darüber klar werden, ich denke auch“, sagte Grand Mère. „Wir können nächtigen, des Abends, an einer geeigneten Stelle, oder unseren Weg fortsetzen. Die Nacht wird hell, wir haben Vollmond, und die Wolken werden sich teilen – das meinst du doch auch?“

Aslan nickte.

„So wird es keine Schwierigkeiten geben“, fuhr Grand Mère fort. „Die Tiere sind ausgeruht und wohlgenährt, ein langer Marsch kann ihnen nicht schaden, und wir auch haben unsere Kräfte gesammelt.“

„Die Frage ist, ob eine Notwendigkeit besteht“, sagte Roger. „Unerhört wär’s, wenn sie uns verfolgten, uns zur Umkehr zwingen wollten, unerhört, und schwer strafwürdig …“

Grand Mère wiegte den Kopf. „Unerhört, und doch … wir haben eine von ihnen geschlagen …“ Sie sagte „wir“, und niemand widersprach.

„Gewiss“, rief Inge, „aber das war Notwehr, sie wollte uns festhalten, wir hatten das Recht, uns zu wehren …“

„Ob sie das auch so sehen?“ fragte Roger düster. „Wild und ungebärdig schienen sie mir zu sein, finster war Dietrich, ich habe ja selbst seine Worte gehört, an jenem Abend im Zimmer im Turm, und dann erst bei dem Begräbnis des Alten … sie können wohl zu fürchten sein, die Häusler, und nach dem, was mir Inge erzählt hat, von den Ereignissen am Tag vor dem Begräbnis … Grauen fasst mich, wenn ich’s bedenke.“

„Grauen und Furcht“, bekräftigte Grand Mère. „Sie waren außer sich, die Weiber, und blind, und seltsame Dinge haben sich begeben heute Morgen …“

„Wir haben nichts gesehen, nichts gehört …“ gab Inge zu bedenken.

„Das stimmt“, antwortete Grand Mère, „doch scheint mir gerade das unheimlich, zum Argwohn anregend. Ein Haus, voll der Menschen, strotzend vor Lebenskraft – und sie bergen sich vor den Fremden, halten geheime Versammlung, wie geht das zu? Und dann, da sie doch wussten, dass wir fort wollten, welche Sitte ist das, dass man die Gäste alleine ziehen lässt, unbehilflich beim Aufbruch, dass sie sich davonstehlen müssen wie Diebe zur Nacht, mit Unruhe gar und Unbehagen, als täten sie Unrechtes … und wahr ist, hätte Aslan nicht so zum Fortgehen gedrängt, hätte nicht die Angst ihn gepackt, wer weiß, wo wir nun wären …“

„Das ist wahr“, sagte Roger zu Aslan, „du mahntest zur Eile die ganze Zeit, wohl hat dich dein Gefühl geleitet …“

„Und dann bedenkt die Frau Elisabeth“, fuhr Grand Mère fort. „Nicht mehr verhielt sie sich nach Menschensitte, nicht war mehr Ruhe um sie und Freundlichkeit, nein, Vautrin war nicht mehr bei ihr, sichtbar nicht, in Unordnung war ihre Kleidung, wirr ihr Geist … und rief sie uns zu, dass wir anbeten müssten, alle müssten anbeten, das Wunder Vautrins … nun frage ich euch, was für Worte sind das? Hat man je erhört, dass einer den anderen zwingen wollte anzubeten? Wie nun, wenn sie nur die Vorhut war, ausgeschickt aus Zufall als erste, nach uns zu sehen, und nachlaufend, da sie merkte, dass wir schon davon waren, und hinter ihr kamen die anderen, voll des Willens, zu halten und zu klammern?“

„Unheimlich“, murmelte Inge, und es schauderte sie.

„Ja“, sagte Grand Mère, „unheimlich waren sie, und nicht sollten wir säumen, dem Maître zu berichten, was wir sahen, wenn wir ihn wiedertreffen.“

„Das sollten wir tun“, sagte auch Roger.

„Nun hilft uns das aber nicht weiter“, nahm Aslan das Wort. „In Rede steht, was wir tun sollen des heutigen Tages … ruhig scheint hinter uns der Weg, mit Pferden jedenfalls sind sie uns nicht nach, sonst hätten sie uns schon eingeholt … es sei denn, eine Verzögerung hätte sich ergeben bei ihnen …“

„Möglich wär ja“, meinte Roger, „dass sie erst lange beraten haben, es sind viele Menschen, da dauert es seine Zeit, bis sie zu einem Beschluss kommen, wenn welche sprachen dafür, uns nachzusetzen, so sprachen sicher andere dagegen, auch mussten sie erst Elisabeth versorgen, sie war verletzt, ich habe das wohl gesehen, es wird Verwirrung geherrscht haben zunächst …“

„So könnte das wohl gewesen sein“, sagte Aslan nachdenklich. „So bist du dafür, dass wir weiterziehen zur Nacht?“

„Ja …“ antwortete Roger, „eigentlich ja. Und wenn’s vielleicht auch überflüssig sein mag, so ist’s doch immer besser, nicht unnütz Gefahr auf sich zu ziehen. Wie Grand Mère sagte, nicht mehr haben sie sich verhalten nach Menschenweise, wozu sollten wir sitzenbleiben und abwarten, was herniederkommt auf unsere Häupter …“

„Hm“, machte Aslan, „wohl hast du gesprochen, und einleuchtend … und was meinst du?“

Er hatte sich zu Inge gewandt, und Inge antwortete: „ Ich rede wie mein Mann Roger. Gesehen habe ich die Unbedacht der Frauen mit eigenen Augen, nicht aussetzen sollten wir uns dem.“

„Und du?“ fragte Aslan seine Mutter.

„Wir sollten weiter“, antwortete Grand Mère. „Wohl möglich ist’s, dass Roger recht hat, und sie haben lang beraten und hin und wider gesprochen, bis zum Entschluss, uns nachzusetzen. Sollen wir nun etwa darauf warten, dass sie zur Nacht über uns kommen? Ziehen wir aber weiter, die Nacht hindurch, und des morgenden Tages, so werden sie es wohl aufgeben, da sie uns nicht einholen können.“

„Gut“, entschied Aslan, „wir ziehen weiter. Am Abend werden wir einen Platz suchen, wo wir eine Stunde rasten, doch nicht länger, und setzen dann unseren Weg fort, das ist abgemacht. Wie ist’s mit meiner Frau Magdalena?“

„Sie wird es gut vertragen, denke ich“, sagte Grand Mère. „Weich gebettet liegt sie, und ist auf dem Wege der Genesung. Doch sollten wir bei ihr bleiben … am besten wechseln wir uns ab in der Nacht …“ Sie sah Inge an.

„Natürlich“, antwortete Inge. „Wir wechseln uns ab alle paar Stunden, so ist immer jemand bei ihr und wacht.“

„So ist es entschieden“, sagte Aslan. „Lassen wir die Ochsen noch eine Viertelstunde ruhen, dann machen wir uns auf den Weg.“

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 25.08.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)