Die Schelle

Und so kam es denn auch. Fast immer kommt es in der Geschichte des Menschtieres so. Verschwurbelte Idiotien erledigen sich nicht dadurch, dass sie erfolgreich wegbewiesen werden. Sie erledigen sich dadurch, dass die Menschtiere einfach nicht mehr zuhören.

Nicht mehr zuhören dem unaufhörlichen Niederbeweisen und Rechthaben und Besserwissen, nicht mehr zuhören den Finten und immer frisch ausgedachten Unwiderleglichkeiten.

Nicht mehr zuhören, weil sie es leid sind, sich rechtfertigen zu müssen für ihr Andersdenken vor den Besserwissern.

Nicht mehr zuhören, weil sie es satt haben, ernsthaft nach Argumenten zu suchen, im Angesicht eines Gegners, dem es um Argumente nicht geht, sondern nur um das Rechtbehalten.

Sie hörten nicht mehr zu, nach der religiösen Wende. Ließen die übriggebliebenen Hocherleuchteten an ihren Buden stehen auf den Märkten und ihren Ramsch anpreisen als die Beleuchtung der Welt. Niemand muss das kaufen, sagten sich die Marktgänger, wer will diesen Krempel heute noch haben?

Und die Wecker läuteten ihre Schelle und schrien: Kommt Leute kommt! Wir sind die Guten!

Als Mützen hatten sie, die Gleichheit durchzusetzen, Millionen gemordet.

Als Stiefel hatten sie, die Ungleichheit durchzusetzen, Millionen gemordet.

Als Taschen hatten sie, die Suprematie der Frauen durchzusetzen, Millionen gemordet.

Immer hatten sie das eine gesagt und das andere getan, oder das eine getan und das andere gesagt.

Und immer war ihre Lautsprache die nämliche gewesen: Wir sind die Guten. Erst wir haben das Licht in die Welt gebracht. Vor uns war Finsternis, außerhalb unserer Gerechtsame ist Finsternis. Wir sind die Rechthaber. Wir sind, die immer Bescheid gewusst und euch immer Bescheid gestoßen haben.

Ihr seid Schwindler und Trickbetrüger, sagten die Menschen. Ihr wollt nicht das Licht, ihr wollt die Macht, und ihr wollt sie bedingungslos.

Ihr ruft euch zu Wohltätern aus, und seid nur Zwangsherrscher.

Ihr seid Bevormunder, und ruft: Dies alles tun wir nur aus Fürsorge.

Wir sagen, wir brauchen eure Fürsorge nicht, und ihr sagt: Doch, gerade! An die Hand müsst ihr genommen werden und angeleitet. Geführt! Denn ohne das Licht der Vernunft seid ihr Kinder. Unserer Vernunft!

Wir sind keine Kinder, schon gar nicht eure.

Stellt euch auf den Markt wie alle anderen, schlagt euer Zelt auf und läutet die Glocke. Wir sehen dann mal zu, ob wir kommen und hören wollen, was ihr zu sagen habt. Und ob wir dann bleiben wollen, und wenn ja, für wie lange. Aber das entscheiden wir, nicht ihr.

Ihr werdet nicht noch einmal Kontinente erobern und Mauern darum errichten. Mauern nicht, damit keiner reinkommen, sondern Mauern, damit wir nicht rauskommen können.

Das ist es, was ihr immer gemacht habt. Büttel seid ihr und Gesinnungswärter, Machthaber und Bevormunder. Es ist vorbei mit euch. Gewöhnt euch dran.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 22.08.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)