Ungleichheit

Die Wecker wehrten sich. Genau das haben wir doch immer bekämpft! sagten sie. Alle Menschen sind gleich. Das war doch unsere Ansage!

Die Menschen sind eben nicht gleich, ward ihnen zur Antwort. Sie sind zu schätzen und zu lieben, jeder einzelne, weil sie ganz ungleich sind. Ihr macht was ihr immer gemacht habt, macht mit der linken Hand das, mit der rechten jenes, und was die rechte tut, das darf die linke nicht wissen.

Aber wir haben immer schon getan, was ihr fordert! Haben gesagt, dass die Person gilt, nur die Person! Und nicht die Gruppe, der sie angehört. Ja, das haben wir gesagt! Haben gesagt, dass keine Gruppe verurteilt werden dürfe, davon haben wir doch gesprochen, das haben wir so gesagt, sogar von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit haben wir gesprochen, und haben das verurteilt, niemals darf es dahin kommen, haben wir gesagt, dass in einer Person nur die Gruppe wahrgenommen wird!

Habt ihr gesagt, ja? Und wieso habt ihr dann die weißen Männer verurteilt?

Die weißen Männer waren immer in der Geschichte die Täter, die waren die Unterdrücker!

Aha. Und weil in der Geschichte – noch mal. In der Geschichte waren immer die weißen Männer die Unterdrücker?

Ja, ja und abermals ja. Das können wir beweisen!

Eure Beweise interessieren uns herzlich wenig. Das haben wir mittlerweile gelernt, wie ihr mit historischen Wahrheiten umgeht. Wie ihr alleweil Belege herbeilügt, wie es euch gerade passt, und was euch nicht passt, das wird ausgeblendet.

Solche Unterstellungen weisen wir zurück! Uns ging es immer nur um die Wahrheit! Die historische Wahrheit! Die ist ja gerade von den Unterdrückern vertuscht und gefälscht worden! Die Unterdrücker waren es ja, die die Geschichte geschrieben haben! Erst haben sie die Geschichte gemacht, und dann haben sie sie so umgeschrieben, wie es ihnen in den Kram gepasst hat. Dem haben wir ein Ende gesetzt. Das haben wir gemacht. Wir waren das! Erst wir haben den Unterdrückten eine Stimme gegeben!

So. Hatten die also keine. Haben auf euch gewartet, dass die ihnen endlich wurde, die Stimme.

Polemik! Damit müssen wir uns nicht auseinandersetzen!

Werdet ihr schon müssen. Ihr bestimmt nicht mehr, was gesagt werden darf. Ihr bleibt also dabei, es waren immer die weißen Männer, die in der Geschichte als Unterdrücker aufgetreten sind?

Wie anders! Braucht das noch einen Beweis?

Oh ja. Es geht darum, ob es immer die weißen Männer waren, die als Unterdrücker auftraten, oder immer weiße Männer.

Was?

Wenn wir euch den Unterschied erst erklären müssen, braucht es keine Diskussion mehr darüber, was mit euch los ist. Ihr seid Betrüger. Selbstbetrüger vor allem. Nehmen wir einmal an, ihr könntet beweisen, dass immer weiße Männer die Täter waren, so waren keineswegs immer die weißen Männer die Täter. Zu sagen, die weißen Männer waren immer die Täter, das sagt: die weißen Männer in ihrer Gesamtheit sind Täter, die weißen Männer sind Täter als weiße Männer, und das heißt, das Tätertum ist dem weißen Mann eingeboren. Jeder weiße Mann, wo er geht und steht, ist ein Täter. Die Existenz eines weißen Mannes ist von Tätertum durchwirkt.

So ist es! So ist es doch auch!

Aha, da sind wir uns also einig! Und wenn das so ist, sind alle weißen Männer, die je gelebt haben auf dem Planeten und die je noch leben werden, in Sippenhaft zu nehmen für alle Untaten, die ein weißer Mann je begangen hat, denn in der Untat eines einzigen weißen Mannes wird ja eurer Theorie nach das ingeburtliche Tätertum alle weißen Männer nur sichtbar, aber ob sichtbar oder nicht, es ist da, es ist immer da, jeder weiße Mann ist angeborenerweise ein Täter, und wenn ihm nichts vorzuwerfen ist, so nur deshalb, weil das Tätertum in ihm noch im Ruhestand verharrt, noch in der Potentialität, es ist aber da, und es wird ausbrechen und sich ausleben, wenn ihr nicht mir den Fingern auf den weißen Mann zeigt und ihn verurteilt. So sprecht ihr, so denkt ihr. Das Tätertum eines jeden weißen Mannes, der jemals irgendwo Übles getan hat, ist in das Fleisch aller anderen weißen Männer unauslöschlich eingeschrieben. Das Tätertum eines jeden weißen Mannes, der jemals irgendwo Übles getan hat, spricht aus die Essentialität eines jeden weißen Mannes. Für euch immer nur eine Frage der Zeit, wann das essentielle Tätertum des weißen Mannes springt aus seiner bloßen Potentialität in die Wirklichkeit. Und die Zeit wird kommen, immer. Er lechzt nach dem Übeltun, der weiße Mann. Wenn ein weißer Mann kein Täter ist, so deshalb, weil er noch auf die Gelegenheit wartet, es unbestraft auszuleben, sein Tätertum. Aber das innere Lechzen nach dem Übeltun, das ist dem weißen Mann angeboren! Jeder weiße Mann ein Täter! Als Täter geboren! Unrettbar!

Was sind denn das für Redereien? Ihr legt uns da Worte in den Mund — Belege! Belege! Wer hat denn sowas gesagt?

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 18.08.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)