Schneckenspuren

Mittag.

Weich war der Boden, kaum gaben die Ochsenhufe Laut. Eine Spur hinterließen die Räder, doch sanken sie nicht ein, noch nicht.

Schmal war der Weg, fast schlossen sich die Baumkronen zusammen, dass ein dunkles Gewölbe wurde, an dessen Grund verfolgten die Wagen ihre Spur, in grünem Dämmer, Sträucher griffen aus von der Seite, tasteten an den Wagenplanen, leises Lispeln entstand und Schleifen, während.

„Wie dicht der Wald ist“, sagte Grand Mère. Wenige Schritt weit nur konnte man sehen hinein in’s Dickicht, dann fing sich der Blick im Gewirr der Stämme und Äste, der Blätter und schlingenden Ranken, grün und braun und verfließend, wohl lockend auch.

Still waren die Vögel, schwiegen im Regen.

„Hier ist ein Fluss“, antwortete Aslan nach einer Zeit, „vielverzweigt muss er sein, wir werden noch auf ihn treffen.“

„Befahrbar ist trotzdem der Weg“, meinte Grand Mère, „er ist gut gehalten.“

Aslan antwortete nicht, blickte hinauf in die Blätterkuppel, graues Geriesel war darüber, es regnete fort, mit gelegentlichen Unterbrechungen, dann konnte man die Wolken erkennen, in Weiß und Grau, dickbäuchig, mit schleiernden Fetzen dazwischen; wenn es wieder zu regnen begann, wischte ein einförmiger Schatten darüber, ausgespanntes Tuch.

„Gegen Abend wir des aufklaren“, sagte Aslan, „und die Nacht wird hell sein.“

„Ich denke auch“, stimmte Grand Mère zu, „wir haben Vollmond … aber kühl ist es.“

Ein feines Lispeln und Wispern war im Wald, doch wurde es übertönt von dem gedämpften Mahlen der Räder, die drehten sich fort und fort.

[…]

Wilde Erdbeeren standen am Wegrand, Gestengel in dunklem Grün, die Blätter träumten ihre Dreizahl. Zart war die kleine Pflanze, wie zerbrechlich, und die Regentropfen rannen glitzerfein herab, die Stängel und Blätter schwankten, wenn es abtropfte.

Einige Grashalme gediehen zwischen den Erdbeeren, und an einer Stelle trumpfte Löwenzahn, mächtig behaupteten sich die fleischigen grünen Blätter und die saftigen Stängel, rot am Grund, nach oben zu weiß werdend, unverwüstliche Lebenskraft.

Die Erdbeerpflanzen wahrten lichte Abstände, drängten sich nicht zusammen, sacht nur berührten sich die gesägten Blätter, drangen die dünnen Stängel ineinander, ein lichter Wald war das für die Käfer und Spinnen und Würmer und anderen kleinen Tiere, ein lichter Wald, geschart um das Zentrum des dicken Löwenzahns.

Schwarz und fruchtbar war die Erde, in kleinen Bröckchen hochgehoben, da hatten die Regenwürmer gegraben, und an einer Stelle, von den Blättern des Löwenzahns beschattet, lag ein Stein, ein heller, glatter Stein, der musste schon lange seinen Platz hier haben, denn Moos wuchs an seiner Unterseite.

Das war der Erdbeerwald: Stängelzartheit der wilden Erdbeerpflanzen, Löwenzahn, und der Stein. Einige abgebrochene Hölzchen von den Sträuchern ringsum fanden sich auch, da und dort.

Das war eine Wohnung, ein abgeschlossener Ort, manches Leben war da zu Hause.

Eine Schnecke kroch an einem der Erdbeerenstängel empor, das Gehäuse gelb und schwarz geringelt, in Längsrichtung, und die Windungen formten eine flachen Kegel. Feucht war der Schneckenkörper, und genarbt, von hellem, sandigem Braun.

Sie kroch gemächlich den Stängel empor, Wellenbewegungen durchzogen ihren Körper, das brachte sie voran, und die zarten Fühler hielt sie weit ausgestreckt, gelegentlich schwangen die suchend umher.

Regentropfen rannen über die Blätter, die Stängel, hinunter in die schwarze Erde, feuchteten das Moos unter dem Stein, sammelten sich um das Herz des Löwenzahns. Aufkicherten kleine klingelnde Laute, wenn die Tropfen fielen, die Blätter schwankten zurück, es war wispernde Bewegung in dem Erdbeerwald; wenn es in der Nähe der Schnecke geschah, zog sie die Fühler ein, aber nur die Fühler.

Auf dem Stängel hinter der Schnecke blieb eine silbrig leuchtende Spur zurück.

Dann geschah ein Mahlen und Schüttern des Erdbodens, es rumpelte, dass die Blätter vibrierten, die Stängel alle, die Tropfen fielen eiliger. Die Schnecke klebte sich fest, hastig, und zog sich in ihr Haus zurück, dass nichts mehr zu sehen war von dem sandfarbenen Leib, und von den winkenden Fühlern.

Das Schüttern schwoll, und es dröhnte wider aus dem Grund, und in beharrlichem Schritt zogen die Ochsenwagen vorbei, breit spreizten sich die Hufen der schweren Tiere.

Gleich war es vorbei.

Ungestört klang das Wispern und Lispeln in den Erdbeerblättern.

Die Schnecke wartete eine geraume Weile, dann sänftigte sich die Erregung der Nerven, keine Warnsignale klemmten mehr zusammen den schmalen Körper, und sie kroch heraus aus ihrem Gehäuse, der sandfarbene leib streckte sich, die Fühler tasteten, an ihren Spitzen saßen als winzige schwarze Knöpfe die Augen.

Nach Erde und Feuchtigkeit und Leben roch die kleine Schnecke. Sie kroch weiter ihres Weges, den Stängel empor.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 17.08.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)