Die Fregatten

Die wohlhabenden älteren Weibchen segelten wie fette Fregatten durchs Straßengewühl, im Schlepptau ihre Dienstmädchen, denen erteilten sie lustvoll Befehle. Kopf oben. Wir gehören einer höheren Rasse an, das sieht man ja. In vielen Weltgegenden übrigens waren die Fregatten von heller Hautfarbe, die Dienstmädchen von dunkler, da war die Sache mit der Rasse ja sowieso klar.

Die Wut der Fregatten, wenn ein Mädchen aus der unteren Rasse hinaufheiratete in die höhere, war unirdisch. Sie redeten von schlechtem Blut. Von schlechtem und von gutem Blut. Sie sagten von ihresgleichen, wir sind von gutem Geblüt. Von edlem Geblüt. Sie meinten das so, das war nicht nur eine Metapher. Sie hatten Angst um ihr Blut, Blut galt ihnen ein kostbarer Saft, der verdorben werden konnte, durch Beimengung schlechter Anteile. Alle Armen, alle von anderer Rasse hatten schlechtes Blut, das durfte sich dem guten Blut der Oberen der Reichen nicht vermischen. Es waren die Fregatten, es waren die Weibchen, die zäh an dieser Überzeugung festhielten, die ihre Töchter erzogen in dieser Überzeugung, selbst noch zu Zeiten, als sie schon für das Wahlrecht kämpften.

Noch die Taschen zur Zeit des Jungen lebten in solcher Denke. Sie sahen die Männer die Straße kehren und den Müll abholen und die Post bringen und dachten schwellend: Das ist, weil wir das lichte Geschlecht sind, und die sind die dreckigen. Die müssen das machen. Wir sind so überlegen über die. Die Fregatten, einfach ausgedrückt, waren Rassisten gewesen, sie waren ernstlich überzeugt gewesen, sie gehörten einer höherwertigen Rasse an, die Arbeiter einer minderwertigen. Die Taschen hatten solch stolze Denke wiederaufgegriffen: wir Frauen sind das Taggeschlecht, die Männer wohnen unten in der Finsternis, angeborenerweise.

Angeborenerweise.

Sie weigerten sich, sowohl die Fregatten als auch die Taschen weigerten sich, hier den impliziten Widerspruch zu sehen. Wieso schwollen sie beim Gedanken an ihre Überlegenheit? Über die schmutzige Rasse der angeborenerweise Armen, über die noch schmutzigere Rasse der angeborenerweise minderwertigen Männer? Eine Höherwertigkeit, die angeboren ist, kann doch kein Verdienst sein?

Doch, im Hirn eines Menschtieres schon. Nach den Fregatten war vor den Taschen, und dazwischen hatten die Stiefel ihre große Mörderzeit. Und die dachten auch nicht anders. Wir sind die hohe die lichte Rasse, dachten sie, und die Anderen die niedrige, die verwerfliche. Das ist angeboren, predigten sie, das will die Natur so. Gleichzeitig aber schwoll ihnen die Brust im Gedanken an die Verdienstlichkeit ihres Seins. Ja, wussten sie, unsere Höherwertigkeit ist verdienstlich, die Niedrigkeit der Anderen aber haben diese zu verantworten. Schuldhaft zu verantworten.

Das lernte noch der Junge kennen, hinter jeder einzelnen Tür, durch die er hindurchtreten musste in einen Raum, wo sie schon saßen. Sie. Die Richtigen. Er war der betretende der betretene Falsche. Seine Falschheit war von ihm schuldhaft zu verantworten, die Richtigkeit der Richtigen aber wurde von diesen als verdienstlich gefühlt. Das ist unser Verdienst, dass wir so richtig sind, wussten sie, und der da gehört bestraft dafür, dass er so falsch ist.

So stampften die Fregatten durch die Einkaufsstraßen, und hundert Jahre später die Taschen, und sie fühlten sich durchschwollen von dem Gefühl, wir sind ein höheres Geschlecht, wir sind überlegen über diese schmutzigen Wimmler, über diese Schratigen, diese Krächzer, die nicht einmal richtig sprechen können. Wie können die es wagen, uns überhaupt anzusehen?

Sie waren Rassisten. Die Fregatten waren Rassisten, die Taschen waren Rassisten.

Rassisten?

Das ist schnell erklärt. Ich gebe sie euch, die kurze Erklärung für ein langes Elend.

Der Rassismus ist so etwas wie eine eingeborene Verführung des Menschengeschlechts.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 12.08.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)