Nieselregen

Es begann zu regnen, fein und silberweich, und Kühle wurde. Die schweren grauen Wolken hatten sich zusammengezogen zu einer einförmigen Decke, gewölbt aus zartem Blei.

„Jetzt regnet es“, sagte Waldemar.

Der Weg eilte geschwind unter den Hinterrädern hervor, stürzte fort von den Wagen, weiter hinten beruhigte er seinen Lauf zwischen den Hügeln, in dem geschwungenen Weideland.

„Es regnet“, bestätigte Eluard, „es hat ja schon den ganzen Morgen danach ausgesehen.“

Sie hockten immer noch bei der offenen Plane und schauten hinaus, die Arme auf das Schlussbrett gelegt. Das Haus war schon außer Sicht, fern der Wald der Türme und Kamine, der Dächer und Giebel, vorbei auch schon der Kastanienhain, wo der tote Großvater ruhte. Schnell schritten die Ochsen aus, sie hatten geruht eine volle Woche, nun konnten sie ziehen, und bald würde die Straße wieder erreicht sein, die Straße nach Westen.

„Was sie jetzt wohl gerade machen …“ überlegte Eluard.

„Im Haus?“ fragte Waldemar. „Wer weiß … vielleicht werden sie uns verfolgen!“

Das war ein aufregender Gedanke, doch fand Eluard nicht viel Gefallen daran. „Sie war unheimlich … widerlich“, sagte er und meinte die Frau Elisabeth. „Hast du das Gesicht gesehen?“ Waldemar nickte. „Wie sie versucht hat, hier heraufzukommen …“ Und er schüttelte sich, es fror auch ihn. „Ich hab gar nicht verstanden, was los war heute Morgen. Alle hatten es so eilig, und dann waren sie so geheimnisvoll, und jetzt Elisabeth … ich hab’s einfach nicht verstanden …“

Eluard schüttelte den Kopf. „Es war nicht gut, das Haus. Sie … sie wollten etwas von uns … sie wollten uns festhalten …“

Waldemar starrte auf den Weg, den verfließenden Weg, und dachte nach, dann sagte er, in zweifelndem Ton: „Aber du hast doch gesagt, dass es dir dort gefalle, ja, du wärst gern da, hast du gesagt …“

„Das hab ich nur gesagt, weil Lili dabei war“, antwortete Eluard, und Waldemar sah ihm in’s Gesicht, Eluard wurde verlegen, ach, es führt zu nichts, wenn man niemandem wehtun will, es wird alles falsch, alles hat man anders gemeint …

„Ja“, sagte Waldemar nach einer Weile, „und jetzt sind wir ja wieder fort …“

Und ich bin froh darüber, wollte Eluard sagen, aber er hielt noch rechtzeitig den Mund, wie hätte das jetzt geklungen, und er sah hinaus in den Regen und fühlte sich müde und unglücklich, warum war nur alles so schwierig, so ohne Klarheit …

Waldemar fühlte wohl, dass da Verwirrung war und Undeutlichkeit, in jeder Sekunde schwammen die Möglichkeiten vorbei, sie waren eilig und voll Bewegung, schwänzelnde Kaulquappen, und Eluard verstand nicht, die einzufangen, die ihm gefielen, er wusste nicht, wonach sich richten.

Waldemar gab sich einen Ruck und sagte: „Wir passen gut auf, und wenn wir jemanden sehen, geben wir gleich Bescheid.“

„Das tun wir“, antwortete Eluard dankbar.

Sie schwiegen und sahen hinaus in den Regen und auf die Hügel, die waren von feinem Schleier eingehüllt, aber lange hielten sie es nicht aus, und es war wieder Waldemar, der anfing: „Ob das wehgetan hat?“ Er meinte den Schlag, den Elisabeth erhalten hatte.

„Oh ja, das glaub ich schon“, antwortete Eluard, „sie hat ja geblutet.“

„Wie sie dagelegen hat“, überlegte Waldemar, „und wie sie die Faust geschüttelt hat … unheimlich war das.“

„Arme Lili“, sagte Eluard, „sie hat bestimmt Angst gehabt. Ich glaub, sie wäre so gern … mitgekommen …“ Er hatte zuerst sagen wollen: mit uns gekommen, aber dann dachte er, dass Waldemar das vielleicht nicht mögen würde, wenn er „wir“ sagte zu den Wagen, er wusste es nicht, er war sich nicht sicher …

„Ja“, antwortete Waldemar, „aber das ging ja nicht. Und sie hat es doch gut in dem Haus, oder?“

Eluard zuckte die Achseln, er dachte an das Zimmer im Turm, und an die fernen blauen Berge, aber was gab es da schon zu sagen?

„Wie schnell wir fahren“, meinte Waldemar glücklich. „Die Ochsen ziehen gut, sie freuen sich, dass sie wieder raus sind aus dem Stall.“

„Wie ist das im Winter?“ fragte Eluard.

„Ach, das ist was anderes“, antwortete Waldemar. „Im Winter, da sind sie viel ruhiger, vor allem, wenn draußen Schnee liegt, da stehen sie im Stall und schlafen die meiste Zeit … aber wenn es dann Tauwetter gibt, da sollst du mal sehen! Du wirst es ja erleben … die werden ungeduldig und stoßen richtig mit den Hörnern, man muss vorsichtig sein, wenn man zu ihnen reingeht, und in der ersten Zeit, wenn sie wieder eingespannt sind, da sind sie ganz unruhig und zappelig und machen manchmal, was sie wollen, wenn man nicht aufpasst, ja …“

„Und wir bleiben den ganzen Winter über an einem Ort?“ fragte Eluard und hatte jetzt doch „wir“ gesagt.

„Ja sicher“, meinte Waldemar, „im Schnee kann man mit den Gespannen nicht fahren … Aslan hat erzählt, sie sind einmal zu früh losgefahren, aber da war ich noch nicht da, also da war schon Frühling, und sie sind losgezogen, und dann kam auf einmal Schnee, niemand hatte das mehr erwartet … das war sehr schlimm, sie wären beinahe steckengeblieben, aber sie sind dann doch noch bis zu einem Dorf gekommen, da mussten sie drei Wochen lang warten … das war sehr schlecht …“

Eluard blickte hinaus, es regnete jetzt dichter, doch immer noch in nadelfeinen Tropfen, die fielen, fast ohne dass man’s spürte, und wurde doch durchnässt davon. „Ganz still ist es dahinten“, sagte er. „Aber wenn sie nun doch kommen …“

„Und wenn schon“, sagte Waldemar und verstand nicht ganz. „Was sollen sie uns schon tun.“

„Uns festhalten, zum Beispiel“, antwortete Eluard und sah ihn an, mit großen Augen.

„Oh!“ rief Waldemar, „das würde Aslan nie zulassen, nie!“ Eluard schaute zweifelnd, aber Waldemar war sich seiner Sache sicher, ganz sicher.

„Aber aufpassen müssen wir trotzdem“, sagte Eluard.

„Ja, natürlich“, antwortete Waldemar, und sie schauten weiter hinaus, auf den zurückfließenden Weg, still lag der und friedlich, und niemand kam.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 11.08.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)