Träume

Gebieterisch waren die Sphären am Horizont, so abweisend standen ihre Gebärden …

Magdalena schritt einen langen Weg entlang, blau war der umstanden, umflossen, und mühsam gerieten die Schritte, mussten erkämpft werden, aus lahmem Hüftgelenk. Aber hell war der Himmel … aufwärts ging es, immer aufwärts. Zu danken ist allgemeinem Bestehen, sagte eine Stimme von irgendwoher, Magdalena blieb stehen und lauschte, aber es kam nichts weiter, nur ein Bach floss neben dem Weg her, sprudelnd und gluckernd, kleine Kräuter badeten sich in seiner Kühle.

Langsam öffneten sich Seiten, die enthielten größere Bedeutungen, war helles weites Feld ringsum, und der Weg führte hinein in den Himmel, hinein in’s Blau. Aufwärts. Stand da einer am Zaun und nestelte, beschnitt mit einer Schere die Heckenröschen, einen hellen Hut hatte er auf, die Krempe hinten aufgebogen und vorne herabhängend. Blickte auf und hinüber zu Magdalena, ja, talwärts, geh du nur immer talwärts, sagte er, aber in Wahrheit stieg der Weg.

Dort waren auch Wälder, Tannen, Tannen, Tannen, schwarze Hallen, Wisperort der ungeborenen Träume. Schnell vorbei, nur vorbei, bergan führt der Weg …

Magdalena wandte sich um, da stand der im Hut noch immer am Zaun, schrieb geheime Gebärden in die Luft, mit der funkelnden Schere, lauernd das Angesicht, und Magdalena wehrte ab, nein, nein, sagte sie, bleib, wo du bist, da war ein Sturmwind in den Tannen, fuhr durch’s Geäst, dass die schwarzen Hallen hochgetürmter wurden, und der Nadelduft fiel in Tropfen auf den beschatteten Boden, Kühle, ach ja, Kühle …

Das war der Himmel, der blaue Himmel, weich und fein, in Wolleflöckchen wiegte er sich, Magdalena schritt hinein, tastendes Flüstern war um sie, voll der freundlichen Ermutigungen, sie dankte nach allen Seiten, lächelte, nickte mit dem Kopf.

Und führte der Weg wieder abwärts, dort lagen Täler unten, vielgegliedert, am Fuße blinder Felsenstürze. Vielfach sind aller Erwartungen da, sagte der Mann im Mantel, mit weiter Gebärde, der hatte sie begleitet schon eine lange Zeit, eine lange Zeit, wie müde waren die Zeiten geworden! Und Magdalena folgte dem weisenden Mantelschwung, die Tiefen harrten in grüner Kühle, zwischen Moosfelsen am kalten Bach.

War Gestein in den Tälern, schweigendes Gewirr gestürzter Tannen, da bahnte sich der Weg, mühsam genug. Und schob sie der Mann im Mantel, mit leisem Armdruck, streichelnd war die Schattenhand auf der Haut, wie das Zucken von Falterflügeln, von Motten …

Ein Ort war das voll von Wesen, weichen Gestalten mit blassen Gesichtsovalen, die spähten aus dunklen Augen, Verlangen stand darin geschrieben, stummer Vorwurf.

Und wandelte Magdalena im finsteren Tal, zwischen den Wesen, die schauten sie an, streckten die Hände aus nach ihr.

Was kann ich tun? sagte Magdalena. Da war ein Sturz aus fernen Höhlen, viele Tücher wurden zurückgeschlagen, und war Nacktheit in allen Öffnungen, die sprachen das Wort: Bedürftigkeit. War ausgestreckter Hände voll der Ort und suchender Augen, die wollten. Und Magdalena ging und sollte bringen, sie hatte aber nichts, war leer und arm.

Ich muss wandern, dachte sie, und demütig schlugen die Gestalten ihre Augen nieder, und blieben stehen am Wegrand, zurück, wie dunkle Pfähle, die Hände halb gestreckt aus den Gewändern, müde Geste, verzagte Forderung, so würden sie stehenbleiben, lange, oh, so lange, und würde in ihren Herzen schlummern der Gedanke: Sie wird wiederkommen, sie wird wiederkommen, und sie würden stehen und warten, die Äonen würden niederfallen, und Schnee sinken im kalten Wind …

Du bist die, die ihnen verheißen wurde, sagte die Stimme, und Magdalena floh, denn was konnte sie geben? Sie hatte nichts, leer waren ihre Gebärden. Und verzweigt waren die Täler, voll kühler Ungeduld.

Der Morgen floss von den Höhen, blasses Auge der Nebelsonne. Zurück sah Magdalena hinunter in’s Tal, da standen die Tannen, die dunklen Hallen. Und Magdalena spürte eine schwache Spur von Glück, ich bin nicht der Gärtner eures Unbehagens, sagte sie, und die Bäume rauschten im Wind. Entronnen, sagte Magdalena ganz laut, entronnen …

„Was?“ fragte Grand Mère. „Ist schon gut, mein Kind, du hast nur geträumt, nur geträumt … schlaf weiter …“

Der Wind nahm zu, immer zu, er rüttelte und schaukelte, dass die Felsen ächzten, da war Knirschen unter dem Moos und dem tropfenden Wasser. Die Tannen, sagte Magdalena, ich habe die Tannen verlassen, sie warten, sie warten …

„Jaja“, sagte Grand Mère, „wir sind ja unterwegs, wir sind wieder auf den Wagen …“

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 09.08.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)