Nun könnt ihr sagen: Und deswegen Massenmord? Um zu dieser einfachen Lösung zu kommen? Das hättet ihr doch gestern schon wissen können! Das habt ihr von allem Anfang an gewusst. Und wer von euch es nicht wissen wollte, dem hat SIE es gesagt! Und wer auf IHRE Stimme nicht hören wollte, dem hat SIE es noch gegeben, in Erz gegossen!
Aber, wie gesagt, so einfach liegen die Dinge nicht, so einfach lagen sie noch nicht einmal nach der religiösen Wende, sonst wäre es zu der Katastrophe mit der Konzentranze nie gekommen.
Lasst mich den Faden meiner Erzählung wiederaufnehmen.
Ich habe erzählt von der kurzen Herrschaft der Taschen, jedenfalls der Herrschaft, die sie in Greifweite wähnten, ungefähr um die Zeit, da der Junge allgemach ein alter Mann ward.
Zu dieser Zeit wollten die taschenbewegten Frauen vor allem eines: sie wollten „ihren eigenen Kopf“ haben, und den durchsetzen, sie wollten aber auch dafür gelobt werden, und all dies, so versicherten sie sich gegenseitig, sei was ganz Neues. Als hätten die Menschweibchen zuvor noch nie in der Geschichte des Menschtieres so gedacht und gehandelt. Die hatten noch nie ihren eigenen Kopf haben und ihn durchsetzen wollen, dachten sie, die sind immer gehindert worden, von den Männern, nun sind wir dran, wir sind die ersten, und wir machen und tun jetzt, wie wir wollen. Und dass wir dafür gelobt werden wollen, nein, wer sagt denn sowas? Wir machen das alles nur für uns, was die anderen denken, das geht uns doch gar nichts an, da stehen wir drüber! Das beachten wir doch gar nicht! Vor allem nicht, was die Männer denken!
Das Tun und das gleichzeitige Abstreiten, in einem Atemzug und in einer Bewegung, das wird euch bekannt vorkommen.
Die jungen Frauen drückten die Schulbänke und sahen zu den jungen Männern, die überall aneckten, womöglich gegen die Wand rannten, und sie schüttelten die zierlich frisierten Köpfe über die Deppen und waren stolz auf ihre besseren Noten. Es kam ihnen nicht in den Sinn, dass die besseren Noten das Ergebnis ihrer Angepasstheit waren. Wir sind Frauen, riefen sie, wir haben unseren eigenen Kopf! und die Frau Lehrerin nickte und gab für diese mutige Meinungsäußerung eine gute Note, und die jungen Frauen freuten sich sehr, über ihre guten Noten, und über ihren Mut, und über ihren eigenen Kopf, und auch die Eltern freuten sich. Es kam dahin, dass gute Noten zu einem Merkmal der Mädchen wurden, und entsprechend die jungen Kerle dazu tendierten, durch Widerständigkeit und schlechte Leistungen unangenehm aufzufallen. Widersetzlichkeit ist männlich! Und selbst wenn sie was konnten, sie bekamen dennoch schlechtere Noten von der Frau Lehrerin, denn sie waren Jungs, und Jungs haben keine guten Noten zu haben. Wenn die Schule dann aus war, und auch das Studium auf gleiche Weise durchgestanden, ging es ans Schwimmen, und die jungen Frauen und die jungen Männer sprangen vom gleichen Brett ins Wasser. Die jungen Frauen taten, wie sie gewohnt waren, sie schwammen geschmeidig mit dem Strom und freuten sich über ihr schnelles Vorankommen, nun, eigentlich freuten sie sich schon fast nicht mehr, sie hielten das schnelle Vorankommen für ihr Geburtsrecht, und in ihrem Rücken taten die jungen Männer ebenfalls, wie sie es gewohnt waren, sie traten keuchend und strampelnd gegen den Strom, viele wurden abgetrieben dabei, eigentlich die meisten, aber andere kämpften erfolgreich gegen die Strömung, und als die jungen Frauen an Land gingen, konnten sie gar nicht begreifen, wieso sie nun an tieferem Ort angelangt waren als dem, da sie ins Wasser gesprungen waren, und sie sahen sich suchend um und entdeckten weit stromauf die ungebärdigen jungen Männer, wie die an höherem Ort die Felsen hinaufkletterten, und die Weibchen fassten es nicht und berieten sich und erklärten sich die Sache endlich damit, dass die Jungs wohl Seilschaften gebildet haben mussten, mit dem einzigen Ziel, sie, die Weibchen, niederzuhalten, und sie spähten hinüber zu den kletternden Jungs, flussauf, und fragten: Wie kommen wir jetzt auch da hoch? Wieso sind wir dort nicht? Wo wir uns doch so bemühen! Ist, als wär da eine gläserne Wand! Wir müssen geschützt werden vor den Machenschaften der Jungs, denn das geht alles gegen uns! Wie sind die überhaupt da hoch gekommen? Wie haben die das gemacht? Das sind doch Jungs, das sind doch die Dummen! Uns gebührt das, da oben zu sein, nicht denen! Uns muss da hoch geholfen werden! Da muss eben eine Regel eingeführt werden, dass wenigstens die Hälfte von den Plätzen da oben uns gehört! Mindestens! Dass wir automatisch da hoch kommen!
Wird euch nicht überraschen zu hören, dass unter diesen Umständen die Jungs auf dem Gipfel erst mal unter sich blieben. Aber wie ich schon ausgeführt habe, mit der religiösen Wende kam die Sache allgemach ins Lot. Die schlaueren Weibchen entdeckten, dass gute Noten und Schwimmen gegen den Strom sich nicht ausschlossen, und die schlaueren Männchen entdeckten, dass Männlichkeit und gute Noten sich nicht ausschlossen, und es endete damit, dass bei den Felsen oben am Strom ungefähr so viele Männchen wie Weibchen ankamen, aber die Weibchen unterschieden sich nicht mehr von den Männchen, denn wenn sie erst einmal oben auf der Felsenspitze sich versammelten, zählte ihre erfolgreiche Funktionalität, und nicht mehr ihr Geschlecht, und das Geschwätz der Taschen war nur noch ein Geschnatter von Gänsen weit stromab.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 04.08.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)