Weil es in der Freiheit des Menschtieres liegt, dümmer zu handeln als jedes Tier, hat SIE ihm IHRE Wahrheit und die Gültigkeit IHRER Stimme auch noch in die Gesetzestafeln gemeißelt.
Damit es auch die Dümmsten noch verstehen.
Wenn ihr mir recht zugehört habt, wisst ihr, wen ich meine mit den Dümmsten. Die, so sich für die Klügsten halten. Die überplärren mit ihrem Wahn am lautesten IHRE Stimme, und bedürfen der Gesetzestafeln am meisten.
Auf den Tafeln steht geschrieben:
Du sollst dir kein Bild von MIR machen.
Lege nicht fest, wer ICH bin, sagt SIE dem Menschtier, ICH spreche zu dir: höre und folge MEINEN Worten.
Und für alle, die das immer noch nicht verstanden haben, sagt SIE:
Du sollst neben MIR keine anderen Götter haben.
Bete nicht an deine Vernunft, sie gehört dir nicht. Bete nicht an deine Schöpferkraft: was immer du schaffst, es ist geschaffen vor dir, du hast es nur ergriffen, du darfst es ergreifen aus Gnade.
Von Anbeginn weiß das Menschtier um diese Gebote. Es sind keine Gebote, es sind Sätze, die formulieren die Grundbedingungen seiner Existenz. Einfachere Wahrheit fasslichere Wahrheit gibt es nicht, und wenn das Menschtier sich gegen diese Sätze versündigt, versündigt es sich gegen sein eigenes Wesen. Dass es das kann, liegt in seiner Freiheit.
Von Anbeginn hat das Menschtier in keckernder Äffchenangst sich den unendlichen Horizonten, aufgeschlossen durch IHRE Stimme, verweigert. Hat erklärt: Wir brauchen die Wahrheit! Die letztgültige, finale Wahrheit! Eingekörpert in Sätze, von uns gefunden!
Noch einmal: Du sollst dir kein Bild von MIR machen. Du sollst keine anderen Götter neben MIR haben. Alle die finalen Wahrheiten, die sich das Menschtier in seiner elenden Geschichte erfand, sind solche Lügenbilder, solche Lügengötter. Sie mussten alle untergehen, alle die Religionen und Systeme und Erfindungen und Erdichtungen.
Schlimm hat es das Menschtier getrieben zeitlang seiner Geschichte, niemals schlimmer aber als in der Epoche, die vom Kontinent des Jungen ausging und sich das Hochgeleucht nannte.
Unter der Herrschaft der Stiefel der Mützen der Taschen starben die Hekatomben, und immer rief das Menschtier: Mehr! Mehr noch! Noch nicht genug!
Bis es endlich dem Spuk ein Ende setzte und demütig, oder vielleicht auch nur kleinlaut, einbekannte: Das war immer die schlimmste Idee von allen, das mit der finalen Wahrheit. Wir sollten die Ideen bereden, die wir heute haben und gestern hatten, sollten uns alle miteinander bereden auf Augenhöhe, und uns auf die Ideen freuen, die wir morgen haben werden und von denen wir heute noch nichts wissen.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 02.08.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)