In der Wolke

Da war die Tür, endlich, die eichene Tür.

„Wart mal“, sagte Grand Mère, „bleib hier stehen, ja …“ Sie führte Magdalena gegen den Türpfosten, aber Magdalena hielt sich an ihr fest, willenlos, den Arm um ihre Schultern gelegt.

„Nein, Kind, so geht das doch nicht“, sagte Grand Mère, „sei doch vernünftig, ich muss die Tür aufmachen …“ Und sie lehnte Magdalena gegen den Pfosten, kühl war der, dicker kühler Sandstein, aber so unbequem, so hart die Kanten … Magdalena lehnte den Kopf zurück, spürte durch ihr zurückgebundenes Haar hindurch die Härte der Steine, ja wirklich, Grand Mère würde also die Tür öffnen, das war gut, da konnte sie doch die Zeit nutzen, ein bisschen zu schlafen, warum nicht, die Augen schließen, dämmern, sie war ja so müde …

Grand Mère schlug den Türflügel zurück, draußen war der Treppenabsatz, da lag ein schwerer Flussstein, mit dem konnte man die Tür offenhalten, und unten im Hof standen die Wagen, Aslan und Roger waren dabei, wo mochte Inge sein, nun, das war egal jetzt, den Stein gegen die Türkante geklemmt, und nun wieder zu Magdalena …

Ganz langsam sank Magdalena in die Knie, mit geschlossenen Augen, den Mund halb offenstehend, den Kopf zurückgelehnt gegen den steinernen Pfosten.

„Hallo!“ rief Grand Mère und fing sie auf und tätschelte ihr mit der flachen Hand das Gesicht, „Magdalena! wach doch auf, ich bitte dich, du kannst jetzt nicht schlafen … ach das ist ein Elend, wahrhaftig, dass Vautrin uns beisteh …“

Magdalena schlug die Augen auf, sehr langsam, und sie starrte Grand Mère an, mit flackernden Lidern, dann fragte sie: „Was ist? Sind wir immer noch hier? Wir waren doch schon unterwegs, ich hab’s doch gespürt, da waren die Ochsen, und das Rad, ja …“

„Wir fahren ja gleich“, sagte Grand Mère, „nur noch ein paar Schritte, die Treppe … gleich ist es geschafft, leg deinen Arm um meine Schultern …“

Da ist eine Tür offen, dachte Magdalena, es muss wohl in’s Freie gehen, wie hell und grau es da draußen ist, ja, hell und grau, hell und grau, und sie wiederholte die Worte wohl ein dutzend Mal, ehe sie ihren Sinn verstand, dann wurde ihr klar, dass sie sich in einem finsteren Korridor befand, ein dunkler Schlauch war das, und Grand Mère wollte sie hinausführen, hinaus in eine helle graue Wolke, das war schön, sie würde schweben, und über die Länder fliegen, mit der Wolke hell und grau … dann traf sie das Tageslicht, und sie stöhnte und schloss die Augen.

„Das tut weh“, sagte sie klagend.

„Mach nur die Augen zu,“, antwortete Grand Mère, „ich führ dich schon …“

Unten im Hof entstand Bewegung, unter den Bäumen, da leuchtete Inges helles Kleid hervor, gleich hinter ihr her sprangen Waldemar und Eluard, und die kleine Lili mit ihrer Puppe war Eluard auf den Fersen, sie versuchte seine Hand zu erwischen …

[…]

„Ich hab sie gefunden!“ rief Inge, „dann können wir los, wir müssen nur noch Mama holen …“ Sie blickte die Hausfront empor, die Treppe hinauf, da sah sie, dass sich oben die Tür geöffnet hatte, Magdalena und Grand Mère traten heraus, Grand Mère schien Magdalena fast tragen zu müssen …

„Ich lauf schnell und helf dort oben“, rief Inge in aller Hast, „bringt die Kinder auf die Wagen …“

„Ich mach das schon“, sagte Aslan und trat ihr in den Weg, „ich werd sie tragen, das geht schneller, kümmer du dich um die Kinder …“

„Ja, ist auch gut“, antwortete Inge, „bloß mach schnell.“

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 28.07.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)