Abstrafung

Den Männern zu allen Zeiten erging es nicht viel anders als ihm. Sie hatten nicht groß die Wahl, sie mussten das Weibchen nehmen, das „ja“ sagte, denn die Wahrscheinlichkeit war nie groß, dass noch ein anderes auftauchen würde, also wurde geheiratet, und von Liebe nicht viel geredet, man war allgemein froh, wenn im Laufe des Zusammenlebens so etwas wie Zuneigung sich einstellte, die Solidarität gemeinsam durchgestandener Schwierigkeiten, der Stolz, gemeinsam dem Druck der Täglichkeit standgehalten zu haben. Anders war das Leben des Menschtieres nie.

Aber für die Taschen ging es um die Abstrafung der Männer, weil sie Männer waren, wie es den Mützen um die Abstrafung der Klassenfeinde ging, den Stiefeln um die Abstrafung der Rassenfeinde. Die Männer die Klassenfeinde die Rassenfeinde, das war alles lebensunwertes Leben. Manche Taschen sprachen das offen aus, die Männer sind überflüssig auf dem Planeten, schrieben und sagten sie, die müssen weg, es reicht, wenn etwa zehn Prozent übrig bleiben, für die dreckigen Arbeiten.

Wenn so etwas öffentlich zitiert wurde, also außerhalb des Taschenghettos, riefen die Taschinnen, begeistert lachend: Also da sieht man doch wieder die Dummheit der Männer! Die verstehen das nicht! Das war doch hyperbolisch gesprochen!

War es nicht. Es war absolut ernst gemeint.

Die Weibchen waren sehr stolz auf die neue Solidarität, vor allem aber auf die neue Empörung. Empörung über diese unfassbare Schuldhaftigkeit der Männer, die jetzt ans Licht kam. Wo man hinschaute in der Geschichte, wo man hinschaute in der Gegenwart: schuldige Männer, unterdrückende Männer! Frauenunterdrückend, die Schweine! Fragte man die Weibchen, konnten sie sich gar nicht genug tun mit Anklagen, über die Unterdrückung, die Macht der Männer, die Selbstgerechtigkeit der Männer, das Zusammenhalten der Männer gegen die Weibchen. Sie machen uns nieder, wo sie können! Wollen uns unten halten!

Befragte man dann dasselbe empörte Weibchen nach den Männern ihrer Umgebung, in ihrer Familie, hellte sich die Stimmung schnell auf, mit dem Chef kamen sie gut zurecht, viel besser als mit dem vorigen, der eine Frau gewesen war, und das Väterchen! wie hatte das sich krumm gelegt, um Schule und Ausbildung und Studium zu ermöglichen! Und mit dem Freund läuft auch alles so weit klar, wär mir nur lieber, der würde ein bisschen mehr Rückgrat zeigen, manchmal, der kriegt immer gleich Angst, wenn ich mal schlechte Laune habe, also das will ich gar nicht, das brauch ich nicht, aber na ja.

Die Historiker kannten das Phänomen aus der Stiefelzeit der Mützenzeit, auch da hatten die Menschtiere gern sich vor Empörung über die jeweils Falschen nicht zu fassen gewusst, die Rassen- und die Klassenfeinde, wenn es dann aber darum ging, ob sie welche von denen persönlich kannten, so antworteten sie gern: Oh ja, gleich nebenan wohnen ja welche, das sind so nette Leute, auf die lassen wir nichts kommen!

Wenn die netten Leute dann abgeholt wurden, hielt man die Vorhänge fest geschlossen.

Es war sogar so gewesen, dass die bemützten und gestiefelten Machthaber untereinander diese Zustände beklagt hatten. Die Ausrottung der Falschen, sagten sie. Das gehört zu den Dingen, die man leicht ausspricht. Die Falschen werden ausgerottet, sagt ein jeder von uns Richtigen, ganz klar, haben wir im Programm, Ausschaltung der Falschen, Ausrottung, machen wir. Und dann kommen sie alle an, die braven Richtigen, und jeder hat seinen anständigen Falschen. Es ist ja klar, die anderen sind Schweine, aber dieser eine ist ein prima Falscher.

Genauso redeten die Taschen über die Männer, und sie klagten: Da reden wir gegen Wände. Die Entmachtung der Männer, das fordern sie doch alle, die dummen Weibchen da draußen. Das gehört zu den Dingen, die gehen denen ganz leicht von den Lippen. Den Männern wird die Macht entwunden, die werden jetzt alle bestraft für das, was sie uns in Jahrtausenden angetan haben an Unterdrückung, das sagen sie mittlerweile doch alle, ganz klar, haben wir im Programm, Ausschaltung der Männer, Beseitigung der Männermacht, machen wir. Und dann kommen sie alle an, die braven Mädchen, und jede hat ihren anständigen Mann. Es ist ja klar, die anderen sind Schweine, aber dieser eine ist ein prima Mann.

Sie redeten wirklich so, und das Erstaunliche ist weniger, dass sie offen so über die Männer redeten, ganz unverhohlen über alle Männer, sondern dass sie nichts dabei fanden, die Frauen zu entmündigen, die Frauen, die sie doch angeblich ermächtigen wollten.

Die lassen sich von ihren eigenen Unterdrückern Sand in die Augen streuen! Die sehen einfach das Ziel nicht mehr! Die müssen befreit werden, und wenn nicht mit ihnen, dann eben gegen sie!

Zu ihrem Vorrat gehörte auch die Forderung, dass jetzt erst einmal alle Männer – alle! – benachteiligt und zurückgesetzt und entmachtet und entrechtet werden müssten, auf eine lange Zeit hin, über Generationen hinweg, zum Ausgleich für das, was sie über Jahrtausende den Frauen „angetan“ hätten.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 27.07.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)