Wie seltsam das Gehen gerät, wenn man die Füße nicht richtig heben kann …
Magdalena spürte die kühlen Fliesen unter den Sohlen, ja, sie spürte sie genau, die glatte Oberfläche, nur leicht angeraut durch Staubkörnchen da und dort, und die Fugen als Vertiefungen, an denen konnte man sich entlangtasten. Sie hielt den Kopf gesenkt und richtete den Blick aufmerksam auf den Boden, das musste sein, sonst würde sie ja den Halt verlieren, die Füße würden tun, was ihnen gerade einfiel, ausgleiten und zur Seite rutschen, wahrscheinlich … neben ihren eigenen Füßen sah Magdalena die Grand Mères, in gemessen kurzen Schritten, nur nicht hinschauen, sich nicht ablenken lassen, das dort, das ist Grand Mère, das hier, das bin ich selbst …
Grand Mère murmelte beruhigende und aufmunternde Worte, siehst du, es geht doch, nur noch ein paar Schritte, dann haben wir es …
Lang war der Korridor, und so still, kein Geräusch in den Winkeln, und der Stein strömte Kühle aus, weiße Kühle, wie der Leib einer Toten.
„Ich bin müde, so müde“, klagte Magdalena, und legte den Kopf an Grand Mères Schulter.
„Gleich, gleich“, murmelte Grand Mère, und Magdalena spürte, wie ihre Fußsohlen entlangschleiften und sich aufsetzten, dann lastete für einen Augenblick Gewicht auf ihnen, oh, viel zu viel Gewicht, die Beine konnten es ja kaum tragen, die Knie gaben nach, die armen schwachen zitternden Knie, und dann schleifte der andere Fuß, und der Kopf war schwer, Magdalena schloss die Augen, das war besser, sie fühlte den festen Griff Grand Mères um die Hüften, Gemurmel und Plätschern war da irgendwo, aus den Traumgewässern, ein kleines Gesicht lächelte sie an, über grünen Knochenfingern, lustig war das Gesicht, oder, aber das war doch ein Frosch, seltsam, er öffnete das Maul, aha, jetzt fing er an zu sprechen, dann war es doch richtig, also er sprach, was sagte er? Gemeinde voller Abgesang, in wandelbarem Ungefühl, sagte er, ah so war das, ja dann … und Magdalena fühlte eine leise knisternde Kälte in sich, das war das Erwachen, Unsinn, wieso das Erwachen, erwachen kann man nur, wenn man schläft, und sie konnte ja gar nicht geschlafen haben, sie ging ja hier mit Grand Mère durch einen Korridor, jaja, den Korridor des Hauses, lang war der, furchtbar lang, das nahm kein Ende, ein Schritt setzte sich vor den anderen, und die Beine waren so müde, so furchtbar müde …
„Bitte, Kind“, sagte Grand Mère verzweifelt, „mach dich doch nicht so entsetzlich schwer, ich kann dich nicht tragen, du bist zu schwer für mich …“
Ja, natürlich, das sah Magdalena ein, sie hob den Kopf von Grand Mères Schulter, da wollten die Mauern schon wieder anfangen zu tanzen, nein, aber so ging das nicht, Magdalena hielt sie fest, ihr bleibt jetzt, wo ihr seid, hier muss doch endlich Ordnung werden …
„Da vorne ist die Tür“, sagte Grand Mère erleichtert, „da geht’s hinaus auf die Treppe, ja, da geht’s hinaus, nur ein paar Schritte noch, und auf dem Treppenabsatz, da setzen wir uns dann hin und ruhen uns ein bisschen aus, und da kommt uns dann sicher schon Inge entgegen, du wirst sehen …“
Ja, ausruhen, ausruhen, wollte Magdalena sagen, aber sie brachte es nicht fertig, nicht einmal ihre Lippen bewegten sich, da waren die Füße, die Füße, die schlurften über den Boden, und die verbrauchten all ihre Kraft, all ihre Kraft.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 22.07.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)