Die Keuschheit der Frauen

Lange vor Zeiten des Jungen, als der Unnachahmliche noch ein junger Mann war, sagten die damaligen Ratgeber: Wenn eine junge Frau heiratet, wird in der Hochzeitsnacht ihre bis dahin schlafende Sexualität geweckt, und sie wird dann bald unersättlich. Begehrt die Sache wieder und wieder, kriegt gar nicht genug davon. Da muss der vernünftige und selbstbeherrschte Ehemann gegensteuern, sanft seine Frau zu Mündigkeit und Verantwortung erziehen, dass sie sich nicht von ihren Trieben beherrschen lässt, denn dazu neigen die Frauen, sind hilflose Opfer ihrer schwankenden Gefühle und Impulse, da muss der Ehemann der Fels in der Brandung sein, dass aus der jungen Frau eine selbstbeherrschte und ehrfurchtgebietende Matrone wird!

Jahrzehnte später, als der Unnachahmliche alt wurde, früh übrigens, er arbeitete sich zu Tode und sank vor der Zeit ins Grab, Jahrzehnte später hieß es dann, in den neuen Ratgebern: Frauen sind an Sexualität von Natur aus eigentlich nicht interessiert. Frauen sind von Natur aus keusch, Frauen sind kühl, und viele fühlen bei dem ehelichen Akt gar nichts, kommen ihm nach nur in edler Pflichterfüllung. Frauen, die nach dem Akt gieren, mit denen stimmt was nicht. Die bedürfen womöglich der medizinischen Behandlung! Bei den Männern ist das anders. Die sind triebgesteuert, die würden am liebsten immer. Das ist aber gefährlich, denn die ungeordnete und unkontrollierte Betätigung des Triebs schwächt den Mann. Führt im schlimmsten Fall zu Gehirnerweichung! Zu Degeneration des Rückgrats! Zu Verblödung! Zu Impotenz! Und da ist es nun eben die Aufgabe der keuschen und züchtigen Frau in der Ehe, den ungestümen Mann zu erziehen, den Trieb in geregelte Bahnen zu lenken, so wird sie zum Engel des Hauses, die keusche Frau!

Für den Betrachter von außen her ist es ziemlich gruselig zu sehen, dass die Weibchen sich diesem Wandel der Einstellungen anpassten. Sie übten Konformität, die Historiker fanden im Studium überlieferter Äußerungen, Tagebücher zum Beispiel, dass die Weibchen der ersten Jahrhunderthälfte, zur Jugendzeit des Unnachahmlichen, Neigungen in sich entdeckten, wie die Ratgeber sie darlegten, und dann in der zweiten Jahrhunderthälfte, da der Unnachahmliche, zunehmend sich verdüsternd, alt wurde – das Gegenteil. Dass es aber nun der Unterdrückungswille der Männchen gewesen sein solle, der bei den Weibchen eine zunehmende Tendenz zur keusch überlegenen Gefühllosigkeit und Ablehnung hervorgerufen habe, konnte selbst der bornierteste Taschenblick nicht annehmen.

Als der Junge ein alter Mann war, setzten die Taschen eine neue Idee durch.

Aller sexuelle Verkehr zwischen Männern und Frauen ist Vergewaltigung.

Ja, das war die neue Idee. Die neue Idee schaffte es bis in die Gesetzgebung einiger Länder, auf dem Kontinent des Jungen. Sexueller Verkehr zwischen Männern und Frauen hat niemals etwas mit Liebe zu tun, niemals etwas mit Verlangen, nicht einmal mit Lust. Es geht ausschließlich um Macht. In der Bespringung demonstriert das Mannschwein vergewaltigend seine Macht über den Frauenkörper. Seine Verfügermacht. Seinen machhabenden Besitz am Frauenkörper.

Schluss damit! riefen die Taschen. Die ganze Menschheitsgeschichte hindurch haben sich die Männer des Frauenkörpers als eines Objekts bedient! Dem setzen wir jetzt ein Ende! Und die Frauen haben sich die ganze Zeit, all die Jahrhunderte die Jahrtausende hindurch, auch noch selber eingeredet, sie empfänden Verlangen nach diesem schändlichen Akt, diesem Akt der erzwungenen Unterwerfung! Aber das haben ihnen nur die Männer eingeredet! In Wahrheit ist der Akt das Instrument der Unterdrückung, und dieses Instrument muss den Männern aus der Hand gerissen werden, ja, das entwinden wir denen jetzt! Die Frauen müssen endlich erkennen, dass sie niemals etwas anderes gefühlt haben bei dem Akt als Ekel und Abscheu!

Ich habe von der offenkundigen Gestörtheit der Taschendenkerinnen geredet. Ihr wisst jetzt, was ich meine.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 21.07.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)