Und Inge stand immer noch oben auf dem Treppenabsatz, schaute hinunter in den Hof, auf die wartenden Wagen, auf die schweren Blätterfächer der Linden und Kastanien, alle Farben waren gedämpft, verschleiert, sie spiegelten das zärtliche Grau der Wolken, verschlafen, voll von Regenahnung.
„Bei Vautrin“, rief Inge und schlug die Hand vor den Mund, „was soll denn das …“
Unten um die Hausecke kam Roger gebogen und zog hinter sich her Moses Maimon, der sah von oben aus wie ein riesiger schwarzer Tintenklecks, mit nickendem Haupt, und ihm nach spazierten gemütlich erst Hermes Trismegistos und dann Cornelius Agrippa, Inge kannte sie am Gang, an der Größe, der Kopfform, an tausend Kleinigkeiten, und den Abschluss machte Aslan, der führte Diogenes Laërtius am Halfter, mit der freien Hand schien er übrigens Cornelius Agrippa am Schwanz gepackt zu haben.
Die Karawane schritt ganz gemächlich die Hausfront entlang, auf die Wagen zu.
„Sie haben den Verstand verloren“, murmelte Inge, „wenn da einer ausbricht …“ würde es Stunden brauchen, sie wieder einzufangen, so war das. Dem ersten Impuls nach wollte Inge rufen und winken, aber sie besann sich anders und eilte statt dessen die Treppe hinunter, wobei sie ihren Rock zusammenraffte.
Rufen … die Ochsen könnten erschrecken davon, aber das war es nicht allein, da war auch noch die schweigende Hausfront, mit ihren zahllosen Fensterhöhlen und der unruhigen Stille dahinter, wozu etwas wecken, das vielleicht noch schlief …
Unten angekommen, mäßigte Inge ihre Eile, es war nicht tunlich, dass ein rufendes und kleiderflatterndes Bündel auf die führerlos laufenden Tiere zusprang … sie näherte sich der Karawane betont langsam, von der Seite her, und Moses Maimon fasste sie scharf ins Auge.
„Was ist denn bloß los?“ fragte sie halblaut. „Was in Vautrins Namen macht ihr da?“
„Wir wollen weg hier“, antwortete Roger, mit gesenkter Stimme er ebenfalls. „Beunruhigung ist über dem Haus, nicht der Hausherr lässt sich blicken, noch sonst jemand … ist nicht geheuer.“
Inge blickte nachdenklich, blieb stehen, ließ die Tiere an sich vorüberziehen und packte im geeigneten Augenblick Cornelius Agrippa, der ausweichen wollte, beim Halfter. Er schwenkte ärgerlich den Kopf, doch rief sie ihm beruhigend zu, und er verzichtete auf Widerstand. Sie führte ihn zum zweiten Wagen und band ihn dort schnell fest, dann lief sie hinüber zu Hermes Trismegistos, der wollte gerade, da Aslan mit Moses Maimon vor dem ersten Wagen stehengeblieben war, sich gemütlich trottend, doch ohne Säumen, entfernen, sie erwischte ihn aber noch beim Halfter, und er schnaubte und stieß mit den Hörnern nach ihr, es fehlte nicht viel, dass er angefangen hätte, mit den Hufen zu scharren, saftig grün und dunkel lockte der Wald, dorthin hatte er seine Masse in Bewegung gesetzt, nun wurde er festgehalten, das gefiel ihm nicht.
Schließlich gelang es Inge, ihn zu bändigen, die anderen wurden unruhig, außer der Regel und unzukömmlich war, was hier geschah, unordentlich, und Unordnung verursacht Unruhe, da entsteht Wiegen geschwungener Hörner, aus mächtigen Nacken heraus, und Schnauben aus geblähten Nüstern, Grunzen aus schwarzen Kehlen, gar bald Hufescharren, dass der Sand hochaufspritzt, wer weiß, wo das endet. Aber es gelang Inge ja noch, Hermes Trismegistos zu sänftigen, sie rief ihm ins Ohr, ins hin und her drehende Ochsenohr, und zog am Halfter, und wich seinen Kopfstößen aus, bald hatte sie ihn wieder beim Wagen und band ihn fest.
„Jetzt könnt ihr sie einschirren“, sagte sie aufatmend zu den Männern.
Aslan nickte. „Dank dir“, sagte er trocken, dann blickte er auf das Haus und fragte: „Wie steht es mit Magdalena?“
„Fertig ist sie zur Abreise“, antwortete Inge, „Grand Mère ist bei ihr …“
„Dann sollten sie jetzt kommen“, meinte Aslan, „nicht säumen mehr sollten sie … willst du sie holen?“
„Augenblick“, warf Roger ein, „was ist mit den Kindern?“
„Sie sind im Wald“, antwortete Inge, „sie können nicht weit sein.“
„Besser wäre, du suchst sie zuerst, dass sie da sind, wenn wir fahren wollen, danach können wir Magdalena holen, und die Tiere sind schon eingeschirrt …“
„Ja“, antwortete Inge und blieb einen Augenblick stehen, hin und her gerissen zwischen dem Wald und der Treppe, wohin zuerst, sie stöhnte vor Unschlüssigkeit, schließlich entschied sie sich für den Wald, sie raffte den Rock zusammen und rannte los, dort war ein Brunnen, das wusste sie, Eluard hatte es ihr erzählt, dort wären die Kleinen am ehesten zu finden …
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 16.07.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)