Die Zuwanderer

Zur Zeit des Jungen strömten Zuwanderungswellen ins Land, aus Ländern, in denen der Mann noch etwas galt, wie man sagte. Habe das schon kurz erwähnt, das war die Zeit, da der Junge sich ins Zeug legte und Unterricht in der Landessprache gab. Die kleinen Jungs der Zuwanderer wurden hofiert in ihren Familien, sie wurden im Übrigen auch brutal zusammengeschlagen, das eine widersprach dem anderen nicht, ein Junge muss das aushalten können, hieß es, ein Junge ist was Besonderes. Die Schwestern mussten den Bruder bedienen, und wenn sie Geld verdienten, mussten sie ihm abgeben. Das wurde ihnen nicht etwa von den Männern in der Familie gesagt, sondern von den älteren Frauen. Ein Sohn ist was Besonderes, eine Tochter nur zweite Wahl. Das religiöse System, das diese Vorstellungen unterstützte, wurde mit besonders rigider Wut von Frauen verteidigt. Auch in den Imperien der Stiefel der Mützen hatte man die vorpreschenden Frauen gefürchtet, die kreischend und spuckend das System verteidigten. Mitleidlos. Wenn etwas Panik auslöste in den Gefangenen der Lager, dann war es das Anrücken der weiblichen Aufseher. Es war etwas in dieser spezifisch weiblichen Mitleidlosigkeit, das eisige Angst auslöste. Der Junge kannte das. Er kannte die überschießende Wut, er kannte die enthemmte Lust am Übergriff. Vernünftige Einrede war nicht mehr möglich, Appell an Menschlichkeit Respekt Fairness, alles nicht mehr möglich. Die Taschen erklärten die weiblichen Verteidiger der unterdrückenden Systeme zu Unterdrückten, die zu ihrem Auftreten als Verteidiger gezwungen seien. Der blanke Augenschein strafte diese Konstruktion Lügen, und die angeblich Unterdrückten erklärten ihre Unterdrücktheit zum Ergebnis ihrer eigenen freien Entscheidung, das ist unser Glaube, schrien sie, das ist unsere Religion, das ist unsere Kultur, wir wollen das so, und wir haben ein Recht darauf, in unserem Wollen respektiert zu werden.

Sie wollen das so, sie sagen es selber.

Wollen sie das wirklich so? Aber wenn sie es doch selber sagen!

Den Taschen blieb angesichts solcher Einstellungen gar nichts anderes übrig, als, unter Zuhilfenahme von Sprechblasen der Selbstbemacher, von Fremdbestimmung oder Außensteuerung zu reden, was darauf hinauslief, dass Frauen, wenn sie taten, wie die Taschen wollten, als befreit galten, und wenn nicht, als unterdrückt.

Es war genau diese Einstellung, deren aussichtslose Selbstwidersprüchlichkeit nachher, als die religiöse Wende sich vorbereitete, den Hocherleuchteten den Vorwurf eintragen würde, in ihre Doktrin sei die Bevormundung bereits eingeschrieben, sie seien nur dem Schein nach Befreier, in Wahrheit gehe es ihnen darum, Machthaber zu sein.

Nun ja, der Vorwurf wurde nicht erst zu Zeiten der religiösen Wende laut, aber zu Zeiten des Jungen war es noch leicht, ihn als gegenerweckt, also als antimodern zu diffamieren. Erst als sich die Überzeugung durchzusetzen begann, dass das selbsternannte Hocherweck in Wahrheit Inbegriff der Antimodernen Revolte gewesen sei, geriet das schrumpfende Häuflein der hocherleuchteten Taschen und Mützen und Stiefel in arge Beweisnot.

Auch nach der religiösen Wende lebten und blieben die meisten Frauen in dem Haus, in das sie hineingeboren waren, ich habe das schon diskutiert. Worauf die Öffentlichkeit jetzt aber ein scharfes Auge hielt, das war, ob sie dieses Haus auch nach Belieben verlassen konnten, um im Nachbarhaus einzuziehen, oder eine Straße weiter, oder ein Land weiter, oder einen Kontinent weiter.

Oder, auch davon habe ich schon berichtet, einen Planeten weiter.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 15.07.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)