Versprechungen

Sie schwiegen, das Dunkel zwischen den Bäumen tiefte sich, wurde weicher, verhüllender, hinten zwischen den Bäumen war eine schmeichelnde Schwärze, wie wenn man lange nicht einschlafen konnte und grübelnd dalag, und dann kam endlich doch die Müdigkeit, der Schlaf flutete herbei, schwebendes Gewässer, unergründlich die Tiefe …

„Ich wär gern so, in der Erde …“ fing Lili wieder an. „Wie der Großvater … ganz still ist es da, und schwarz, und immer ist er bei den Bäumen, und niemand kommt und will was von ihm.“

„Sie sagen, er geht ein in die Bäume“, meinte Eluard.

„Das muss schön sein!“ antwortete Lili. „Ich möchte auch gern ein Baum sein, ein richtiger Baum, und ich hätt ganz viele Blätter, dann wär ich immer unter dem Himmel, und die Vögel kämen mich besuchen, und manchmal wär Regen, dass ich zu trinken hätte …“

„Und im Winter?“ fragte Eluard.

„Im Winter, da würd ich ganz fest schlafen, ganz, ganz fest, und würd gar nichts davon merken dass es kalt ist, und erst im Frühling würd ich wieder aufwachen, ja, wenn die Schwalben kommen, und die Schwalben würden mir dann von den Ländern erzählen, die sie gesehen haben, von ganz weit her würden die kommen, und sie würden mir alles erzählen, und ich könnt immer in den blauen Himmel gucken …“

Sie tat Eluard leid, wie sie so dasaß und träumte, und war doch so vergeblich, und er fragte: „Würdest du gerne weggehen von hier?“

„Ja“, antwortete sie schnell und sah ihn an, fast mit Hoffnung im Blick.

„Aber deine Mutter, die wär dann doch traurig …“ wandte er ein.

„Ach“, sagte Lili, „meine Mutter, die sagt, sie hätte Lydia gesehen, gestern …“

Ach so war das, nein, dann würde sie nicht traurig sein, wenn Lili fortginge. Eluard überlegte einen Augenblick, dann sagte er: „Aber wir können dich nicht mitnehmen …“ Es kam ihm ganz geläufig, das „wir“, er hatte es ausgesprochen, bevor er es überhaupt merkte, und dann war er fast erschrocken darüber.

„Wirklich nicht?“ fragte Lili.

„Nein, das geht nicht … warum weinst du?“

„Wenn ihr fortgeht, hab ich bloß noch Gerlinde“, schluchzte Lili und drückte ihre Puppe an sich, das war furchtbar, Eluard streckte die Hand nach dem kleinen Mädchen aus, sie tat ihm so leid, dass er beinahe auch angefangen hätte zu weinen, aber er schluckte es herunter, wie er es gewohnt war.

„Du hast versprochen, dass du mich heiratest“, sagte Lili.

„Ja …“ sagte Eluard verzweifelt, es stimmte ja nicht ganz, er hatte es nicht versprochen, aber er wusste schon, was sie meinte, und er hätte ihr so gerne gesagt, dass er sie verstehe, aber dann fehlten ihm die Worte, und was gab es schon zu sagen?

„Gehen wir noch mal rauf in den Turm?“ fragte Lili.

„Jetzt noch?“ fragte Eluard zurück. „Es ist ja schon ganz dunkel …“ Aber Lili sah ihn nur von der Seite an und antwortete nicht, also sagte er: „Ja, gut, also gehen wir …“

Lili sprang auf und nahm ihn bei der Hand. „Findest du denn den Weg auch, im Dunkeln?“ fragte er, etwas ängstlich.

„Aber ja“, antwortete Lili stolz. „Ich könnt sogar die Augen zumachen, die ganze Zeit, und ich würd nicht schwindeln und nicht linsen, und ich könnt trotzdem den Weg finden.“

„Und Angst hast du auch keine, im Dunkeln?“ fragte er weiter, widerstrebend.

„Nein“, rief sie, mit heller Stimme, „warum denn, du bist ja bei mir. Jetzt komm aber.“ Und sie zog ihn die Treppen hoch und durch die Eingangstür und hinein ins Haus.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 06.07.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)