Die Richtigen und die Falschen

Wie den Stiefeln und den Mützen teilte sich auch den Taschen alle Menschheit alle Menschlichkeit umstandslos in zwei Segmente: die Richtigen, die sich bekannten und dazugehörten, und alle anderen. Die Falschen. Die Richtigen und die Falschen. Äußerstenfalls wurde den anderen die Wohltat des zweifelnden Blicks, der sagte: da müssen wir noch Überzeugungsarbeit leisten, die können wir auf unsere Seite ziehen. Es war etwas in dem Blick, der drohte dem Betrachter: Erwartet nicht, dass wir uns mit der Überzeugungsarbeit ewig Mühe geben. Unsere Sache ist ja offensichtlich. Wir erklären das mal kurz, für alle, die es immer noch nicht verstanden haben, aber wer dann noch abseits steht, der will nicht, der ist böswillig. Wir merken uns das Gesicht. Wir wissen jetzt ja, wo der wohnt!

Zum Schluss ging es, wie bei allem Plan, um die Macht. Die bedingungslose, die uneingeschränkte Macht des Menschtieres über das Menschtier.

Die Menschen hatten das satt, genau das hatten sie obersatt, deshalb setzte sich auch der Gedanke des Marktes durch. Denn auf dem Markt, das ist das Versprechen, begegnen sich alle auf Augenhöhe.

Wenn auf dem Markt ein Gedanke doktrinär vertreten wird, leisten die Doktrinäre der eigenen Sache den schlechtesten Dienst. Denn wer sich der Doktrin nicht unterwerfen will, muss ja nur wegbleiben. Und weghören, wenn sich die Chöre versammeln zum Hochgesang der jeweils heiligen Litanei.

Zur Zeit des Jungen, als die Taschen ihre Doktrin in vermehrtem Eifer auf den Markt warfen, fanden sie viel Anklang bei den Unbegabten. Bei denen zuerst, und auch zuletzt. Ein festes Geglaub, einmal etabliert, erspart umständliches Suchen und Nachdenken, das erfreut die Anspruchslosen. Fortschritt in der Erforschung der menschlichen Vergangenheiten war so nicht zu erhoffen, und die Taschenforschung blieb an den Universitäten im selbstgeschaffenen Ghetto, wo sie genau das leistete, was sie sollte: den Unbegabten zu Lehrstühlen zu verhelfen, auf Kosten der steuerzahlenden Öffentlichkeit. Da die unbegabten Lehrstuhlinhaberinnen – es waren ausschließlich Frauen – sich eines ganz bestimmt nicht leisten konnten, nämlich das Heranziehen kritischer, begabter und nachfragefreudiger Studenten, wurde das Taschenghetto bald der Ort unerträglichen Flachsinns. Dumpfbacke Professorinnen, die Wert darauf legten, mit der weiblichen Form angeredet zu werden, zogen ebenso dumpfbacke Studentinnen heran, die Wert darauf legten, na ja, und so weiter. Fortschritt in der Erforschung der Frauengeschichte konnte aus dieser Ecke nicht mehr erwartet werden, die Taschenghettos kochten im eigenen Saft, produzierten keine ernstzunehmenden Publikationen, suchten nicht einmal den Austausch mit den Instituten nebenan, kein Wunder, sie waren ernsthafter wissenschaftlicher Auseinandersetzung so wenig gewachsen wie die Selbstbemacher, ihre Leistung erschöpfte sich darin, immer neu Finanzmittel einzutreiben – für nichts.

Die Frage nach der Wirklichkeit des Frauenlebens in Geschichte und Gegenwart blieb derweilen auf der Tagesordnung, doch die Historiker von den anderen Fakultäten sagten, dafür gibt es ja die Frauenforschung, die Frauenforschung aber produzierte warme Luft.

Das war der Stand der Dinge, als der Junge ein alter Mann war.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 05.07.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)