Oder anders gesagt: die Männer kämpften miteinander, um alles und gegen jedes, konkurrierten und stritten sich, maßen, legten Rang fest und Ordnung, befahlen und gehorchten, schmissen sich in den Wettbewerb, siegten und unterlagen, triumphierten und leckten ihre Wunden. Ganz klar. So hatten sich Männer stets verhalten. Darum war es immer gegangen: Männer gegen Männer. Der Mann als Ganzkörperbemacher, der Mann auf der Folterbank. Der Mann als Gefangener, der Mann als Büttel. Der Mann als Sieger, der Mann als niedergemachter Toter. Männerleben hatte den Männern selber übrigens stets als wertloses Leben gegolten, disponibles Leben, ersetzbares Leben, und wenn das Schiff unterging, hieß es: Frauen und Kinder in die Boote. War nicht genug Platz in den Booten, war es an den Männern, die Frauen gerettet zu wissen und willig zu ertrinken. Es waren immer und überall die Männer, die das Leben der Weibchen als das wertvollere Leben betrachteten. Wäre es anders gewesen, sie waren ja stets die größeren und stärkeren von Statur, sie hätten sich leicht den Vorrang vor den Weibchen verschaffen können. Taten sie nie. Frauen in die Boote, und die Männer starben. Ein schwaches Weibchen erregte Mitleid, ein schwacher Mann Verachtung: bei den Männern wie den Weibern. Und die Männer sahen zu, obenauf zu bleiben, wo immer sie sich fanden, denn der Mann unten, der war übel dran. Prügelnder Mann, verprügelter Mann. Befehlender Mann, gehorchender Mann. Befehlender Mann, sich widersetzender Mann. Trommelwirbel, hängender Mann, am Halse aufgehängt. Männer wurden in alten Zeiten schockweise aufgehängt, die Frauen nur ausnahmsweise, wenn sie mit Gift gearbeitet, oder ihr Kind ertränkt hatten. Wurde an einem Weibchen eine Hinrichtung vollzogen, redete das ganze Land davon. Um die aufgehängten Männchen machte sich keiner Gedanken. Aufgehängter Mann, erschossener Mann, erstochener Mann, erwürgter Mann. Vor allem geprügelter Mann. Gepeitschter Mann. Mann im Gefängnis. Mann bei der Zwangsarbeit. Mann beim Exerzieren. Mann mit ausgerenkten Fingern, Mann mit zerbrochenen Knochen. Stell dich nicht so an, geh an die Arbeit. Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. So war es zugegangen in der Geschichte des Menschtieres. Die Männer waren sich niemals einig, immer waren Männer mit Männern im Handgemenge. Nur in dem einen Punkt hätten sie sich wunderbar einig sein müssen, wenn denn die Taschendoktrin hätte irgendeinen Sinn haben sollen: einig hätten sie sich sein müssen, sobald es gegen die Frauen ging. Da hätte aller Antagonismus vergessen sein, da hätte wunderbar das gemeinsame Ziel sich geltend machen müssen, das Niederhalten der Frauen, aller Frauen, da hätten sich Aristokrat und Straßenkehrer einig sein müssen in hymnischer Solidarität, da hätten sie gemeinsam singend, die Arme eingehenkelt, sich in die Reihe gestellt und einander zugenickt, wenn es um unsere Alte zu Hause geht, da sind wir Brüder, da halten wir den Deckel drauf, das ist unser gemeinsames Ding als Männer.
Der Aristokrat, konfrontiert dem Straßenkehrer, hätte sich also nicht zuerst als Aristokrat, sondern zuerst als Mann fühlen müssen, wenn es gegen die Weiber ging. Keine Klasse kein Stand kein Rang hätte da noch irgendetwas gegolten, nur noch das pure Interesse der Männer, und das Interesse wäre ein einziges gewesen: das Niederhalten der Frauen.
Genauso war es, wussten die Taschen. Wenn es dem Mann darum geht, im Niederhalten der Frauen mit den anderen Männern solidarisch zu sein, werden alle anderen Ziele und Zwecke, alle anderen Bedingungen und Rücksichten nachrangig. Die Unterdrückung die Knechtung der Frauen ist das vorrangige Lebensziel eines jeden Mannes.
Solche Erkenntnis war nicht Ergebnis einer sorgfältigen Analyse der Geschichte des Menschtieres auf dem Planeten Erde. Sie war auch nicht Ergebnis einer anhaltenden und kontroversen Diskussion, in Für und Wider. Genau genommen, war es überhaupt keine Erkenntnis. Es war eine Setzung, es war eine Voraussetzung. Es war eine Doktrin.
Alle Geschichte ist eine Geschichte der Klassenkämpfe, hatten die Mützen gewusst, alle Geschichte ist eine Geschichte der Rassenkämpfe, die Stiefel, und nun wussten eben die Taschen: Alle Geschichte ist eine Geschichte des fortwährenden Kampfes der Männer gegen die Frauen.
Alle Geschichte ist Unterdrückungsgeschichte, wussten die Taschen, und die Frauen sind das unterdrückte Geschlecht, die Männer das unterdrückende.
Sie wussten noch viel mehr, die Taschen, aber das war der Kern. Die Unterdrückung der Frauen durch die Männer geht so weit, wussten sie, dass die Männer sogar die Frau in sich unterdrücken. Sie fühlen die Frau in sich. Da angsten sie. Und wuten. Und richten die unterdrückte Wut erst recht gegen die Frauen. Die Unterdrückung der Frau ist Ausdruck der inneren Labilität der Männer, die die Frau in sich wissen, und sich deshalb gegenseitig, vor allem aber vor sich selber, als Männer bewähren müssen, an denen nichts Weibliches ist. Und wie zeigen sie sich gegenseitig und vor sich selber, dass sie rechte Männer sind? Indem sie die Frauen unterdrücken.
Der Unterdrückung, so lehrten die Taschen, gelang nie, was sie am sehnlichsten zu erreichen suchte: die Versteinerung. Die versteinerte Endgültigkeit. Vielmehr glitt und schwankte die Unterdrückung stets in prekärem Fließgleichgewicht, immer wehrten sich die Frauen, still und listig und subversiv, immer mussten die Männer auf dem quivive sein, die errungene Vormundschaft zu verteidigen. Verteidigung, die deshalb so schwer fiel, weil die Frauen ja von Natur aus das intelligentere das begabtere das fähigere Geschlecht sind. Besser befähigt als die Männer in praktisch allen Lebensverhältnissen, deshalb gelang es den Männern ja nie, den Deckel festzuzurren auf der Unterdrückung, immer presste der Dampfdruck hoch von unten. Die Frauen trafen sich, konspirativ. Redeten. Wir sind Frauen, wir erzählen uns alles. Wir sind Frauen, wir glauben uns alles. Den Männern glauben wir kein Wort, wenn ein Mann den Mund aufmacht, hören wir erst gar nicht zu, aber wenn eine Frau redet, dann hören wir dann glauben wir.
Es wird euch klar sein, wer mit solcher Gewissheit heranschreitet an die Betrachtung der menschlichen Geschichte, der kann sich vor Belegen nicht retten. Wer sich auf dem rechten Wege weiß, den überrascht kein Erfolg. Die taschenschwingende Forschung zahlte für ihre Hochgemutheit den gleichen Preis wie ihn auch die Forschung der Stiefel und der Mützen gezahlt hatte, und die Forschung der Selbstbemacher, was das anbelangt: Aufenthalt im selbstgeschaffenen Ghetto, alle Türen und Fenster nach draußen fest verrammelt. Überall nur Beleg und Bestätigung, und die immer gleiche Geste der Hand, die, es nicht fassen könnend, an die eigene Stirn schlägt: Dass die anderen da draußen das Offensichtliche einfach nicht sehen wollen. Sowas Verbohrtes! Man fasst sich an die Stirn! Würden die einmal die Literatur zur Kenntnis nehmen, nur ein einziges unserer Bücher wirklich aufmerksam lesen, sie könnten gar nicht anders, sie müssten die Wahrheit erkennen. Aber das wollen die ja nicht, davor fürchten sie sich ja. Die Geschichte des Widerstandes gegen unsere Denke ist vor allem auch eine Geschichte der Verdrängung, und alle Verdrängung ist geboren aus Angst.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 01.07.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)