… oft genug sind die Antworten der Artefakte ganz unverständlich. Der Rätselmund kündet ungeheure Wahrheit, zu gewaltig, als dass die Worte einem Lexikon entnommen werden könnten. Doch entnehmen wir dem bloßen Tonfall der Kündung, ja, schon ihrem ungeheuren Nachhall, dass die Rede Wahrheit spricht. Darum geht es. Uns wird eine Antwort gegeben, die ist gewisslich wahr. Dann kommt es gar nicht mehr darauf an, dass wir sie verstehen. Was wir nur verstehen müssen, ist, diese Antwort ist wahr, und also gibt es das, verbindlich: Wahrheit. Und sie wird uns sogar gekündet. Wahrheit ist keine Schimäre, sie ist Wirklichkeit. Wirkende Wirklichkeit. Sinn ist in der Welt, und die Wahrheit, sie kündet von dem Sinn. Und wir können davonspringen und tanzen und jubeln und wissen, Sinn ist, Gott sei Dank, Wahrheit ist, Gott sei Dank, wir müssen nicht sorgen, wir leben in einem sinnlosen Universum, vielmehr ist gewiss, IHR All ist durchtränkt von Sinn in allen seinen Fasern, drück an irgendeiner Stelle deine Welt, und der Sinn spritzt heraus, quetsch dein armes kleines Leben, umarm es, und Sinn quillt heraus zu jeder Pore deiner trockenen Altershaut, du musst ja nicht wissen, welches dieser Sinn sei, genügt doch zu erfahren aus der gewaltigen Rede der Artefakte, Sinn ist, und das ist gewisslich wahr.
Na ja, dachte der Junge, wenn ich das noch obendrauf gelegt hätte, an diesem Tag, es hätte auch keinen Unterschied gemacht, ganz bestimmt hätte es meinen Untergang nicht abgewendet, der war beschlossene Sache.
Den ganzen Schluss seiner Ausführungen, so wie ich ihn wiedergegeben habe, hatte der Junge zum Teil frei gehalten, sich von seinem vorbereiteten Text entfernend. An die Latenzen seines eigenen Textes andockend, sozusagen. Wie immer, wenn er frei redete, wuchs seine Überzeugungskraft, und er sah, wenigstens für Sekunden, unschlüssiges Flackern in dem einen oder anderen Blick.
Hat alles nichts genützt, dachte er in seinem Alter, ich war verurteilt.
Er meinte nicht nur, verurteilt an diesem Tag. Er meinte, verurteilt fürs Leben. Ich kann machen, was ich will, das Urteil ist schon gesprochen.
Tut nichts, dachte er dann, ich mache weiter. Einfach, weil das Weitermachen das Richtige ist. Und etwas anderes tun als das Richtige, kann ich nicht. Dabei ist kein Verdienst, ich kann nicht anders.
Jeden Tag erlag er der Versuchung, sich der Verzweiflung zu ergeben. Die Verzweiflung hatte immer einen einzigen Fluchtpunkt, und der war gewiss: Ich kann tun was ich will, es wird nichts dabei herauskommen. Und wenn er das dachte, stürzte er in ein tiefes Loch. Kam er an am Grund der Finsternis, leuchtete ihm das Licht, das sagte: Aber es ist vollkommen egal, ob etwas dabei herauskommt, darauf hast du doch gar keinen Einfluss. Was zählt, ist allein, dass du das Richtige tust, ohne Rücksicht auf das Auskommen. Und sobald er dies dachte, fühlte er sich wunderbar erhoben, aus dem Loch heraus, an’s Tageslicht.
So geschah ihm bis zum Schluss, jeden Tag seines Lebens, er litt unter seinen Abstürzen, konnte sie aber nicht verhindern. Sein Gram, wenn er niedersank zum Grunde des Loches, war unermesslich. Nachher wurde ihm Freude, wenn IHRE Hand ihn wieder hob an’s Tageslicht. Ich mach weiter, dachte er dann, natürlich mach ich weiter, was sonst, ich tue das Richtige. Nichts sonst zählt.
Der Gedanke, dabei kommt doch nichts raus, ist der altböse Feind des Menschengeschlechts. Die Gewissheit, wir müssen das Richtige tun, nichts sonst, ist die Rettung.
Rettung ist immer.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 30.06.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)