Das Mühlrad

„Ja, ja“, sagte der Vater von Antonias Kind begütigend, dann schwieg er, und das Mühlrad knarrte gleichförmig vor sich hin. Nach einer Weile fing er wieder an: „Wie kommt es eigentlich, dass du keine Kinder hast?“

„Was?“ fragte Inge.

„Weißt du“, fuhr er fort, „wenn ich dein Mann wäre, dann hättest du viele kleine Kinderchen, da kannst du dich drauf verlassen …“ Sie hatte keine Ahnung, wieso er auf einmal dicht neben ihr stand, sie war ihm doch die ganze Zeit ausgewichen, und jetzt spürte sie den Druck seines Schenkels gegen den ihren, warm und fest …

„Jetzt ist’s genug!“ rief sie und schlug ihn, auf die Brust, es klatschte, und sie spürte, wie glatt seine Haut war, und wie hart und ebenmäßig die Muskeln darunter.

Sie brach in Tränen aus. „Du bist gemein“, sagte sie. „Wenn du mich nicht in Ruhe lässt, schrei ich … dass du mich so behandelst, wo doch meine arme Mutter …“

Er sah sie überrascht an, und dann schien es, als gehe ihm ein Licht auf. „Aber sie ist doch wieder gesund geworden, dachte ich …“ sagte er.

„Lass meine Mutter aus dem Spiel“, fauchte sie.

Er lächelte sie freundlich an, es war ein nettes Lächeln, und die Zähne blitzten.

„Also was jetzt“, sagte Inge. „Weswegen sind wir eigentlich hier …“

„Ja richtig“, sagte der Vater von Antonias Kind, „wir sollten die Radachse saubermachen, na, das ist eine Arbeit, blöd, aber wartet nur, ich bin die längste Zeit hier …“

Er hob die Leiter vom Boden, Inge sah, wie sich die Muskeln an Rücken und Oberarmen spannten, wie kleine Tiere huschten sie umher unter der braunen Haut.

Er rammte die Leiter fest in den Boden, dass sie auch ordentlich Halt habe, und lehnte sie oben gegen die Wand des Mühlhauses, neben die Nabe des Mühlrades.

„Das Rad dreht sich doch …“ sagte Inge.

„Das macht nichts“, sagte er, „da ist ein hölzerner Schutz drum, der wird zuerst gesäubert.“

Er überlegte einen Augenblick, dann sagte er: „Du bleibst unten und hältst die Leiter … ich steig hoch und fang mal an mit der Arbeit, später können wir uns ja abwechseln.“

„Ja“, sagte Inge.

Er kletterte die Leiter hoch, geübt und leicht, mit nackten Füßen, und schwang sich oben auf das Rohr, das seitlich die Radachse umhüllte, als wenn er auf einem Pferd aufsäße. Da hockte er nun und ließ die Beine baumeln.

„Weißt du was“, rief er hinunter zu Inge, „ich schau doch mal, wie‘s vorne aussieht …“ Und er rutschte das Rohr entlang auf das Rad zu, frei über dem Fluss, mit hängenden Beinen.

„Pass bloß auf“, entfuhr es Inge, ohne dass sie es wollte, und erschrocken legte sie die Hand vor den Mund.

„Jaja“, rief er hinunter, „ich hab das schon oft gemacht, brauchst keine Angst zu haben …“

Nein, dachte sie wütend, brauch ich nicht, keine Angst um dich, was bildest du dir eigentlich ein …

Er hatte das Ende des Umhüllungsrohres erreicht und saß dort, wo die schwere Achse ins Freie trat, die drehte sich mit dem Rad, in gemächlichem Umschwung.

„Na ja, es geht“, rief er hinunter, zog sein Messer aus dem Gürtel und begann, an dem drehenden Holz herumzuschaben, kleine Fetzen von Moos und modrigen Stellen lösten sich und fielen hinunter in den Fluss.

Inge stand gegen die Leiter gelehnt und sah hoch zu ihm, wie er über dem Fluss schwebte, er war nur eine schwarze, glänzende Silhouette, der Himmel blendete stark, das tut er gerne an verhangenen Tagen.

„Komische Sachen gibt es …“ sagte die Silhouette.

„Was?“ fragte Inge.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 30.06.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)