Gegen Mittag hörte es auf zu regnen; blassgrau war der Himmel, zu gemächlichen Schlieren verwoben. Und die Erde dampfte, es war ja nicht kalt, überall hingen noch die Perlen in den Gräsern, und der Fluss murmelte stärker. Das war die Zeit der Schnecken und Regenwürmer, auch der Enten, die platschten umher im nassen Gras und wurden genährt reichlich, wie kleine Boote pflügten sie durch die Halme, mit schnellen Blicken, die Köpfe schauten hervor.
War da die Wiese; und die Mühle am Fluss. Ein kleiner gemauerter Bau, mit unförmig breitem Mühlrad, das drehte sich knirschend und rumpelnd, und die Radblätter tropften und rieselten, da sie sich hoben. Dunkel war der Fluss, das machte der Wolkenhimmel; locker war das Ufer bestanden mit Erlengebüsch.
„Siehst du, da wären wir“, sagte der Vater von Antonias Kind, und die Enten wichen ihm aus, in wackelndem Bogen, und dabei gaben sie knarrende Laute von sich, aber leise, ganz leise.
„Wie nass die Wiesen sind“, entgegnete Inge, „ihr werdet lange nicht mähen können.“
„Ja“, sagte der Vater von Antonias Kind, „das ist doch Dietrichs Sache, was geht es mich an.“ Das war nun seltsam von dem Vater von Antonias Kind, es sollte ihn schon etwas angehen, schließlich war er an Wohl und Wehe des Hauses beteiligt wie alle anderen, aber er vertrug sich nicht mit Dietrich, ging sogar um mit dem Gedanken fortzuwandern, Kaufmann zu werden, wie man sagte.
Die Enten schauten den beiden hinterher, dann setzten sie ihren Weg fort durch den Grasteich, die kleine Flotte.
Der Vater von Antonias Kind zog einen Schlüssel aus der Tasche und öffnete die Mühlentür. „Ich hol die Leiter“, sagte er, „warte nur hier, brauchst nicht mit rein zu kommen …“
Inge begann, ohne zu antworten, die Uferböschung hinunterzuklettern. „Sei vorsichtig“, rief er ihr hinterher, als er das sah, „das Wasser ist tief.“
„Ja“, sagte Inge, „ich pass auf.“
Sie schlug ihren Rock hoch, setzte sich auf die Ufersteine über dem murmelnden Wasser und begann, ihre Füße zu waschen, vor sich hatte sie das polternde Mühlrad, das drehte sich ohne Unterlass um seine Achse, zwischen dem Mühlhaus und einem massiven hölzernen Bündelpfeiler, mitten im Fluss stand der, war frei in den Grund gerammt, das war keine schlechte Leistung, da steckte Arbeit drin, schwere Arbeit …
Weich und kühl war das Flusswasser, Inge hob ihre tropfenden Beine auf die Ufersteine und umschlang die Knie mit den Armen, so hockte sie da und starrte träumerisch über das flutende Wasser. Der Vater von Antonias Kind … ein hübscher Junge war das, ganz verantwortungslos, mit pechschwarzen Haaren und kräftigen weißen Zähnen, dazu schlank, mit sehnigem Oberkörper … eingebildet war er, und, wie gesagt, verantwortungslos.
Übrigens etwas jünger als Inge, doch nicht sehr.
Der Klang des Mühlrades änderte sich plötzlich, das Knarren und Rauschen blieb, aber das schwere Poltern, das begleitend aus dem Mühlhaus gedrungen war, brach ab. Der Vater von Antonias Kind musste die Mechanik umgeschaltet haben.
Oben an der Böschung erschien eine Ente, sie reckte den Kopf spähend über den Rand, aber als sie Inge sah, knarrte sie mit dem Schnabel und entfernte sich wieder.
„So“, sagte der Vater von Antonias Kind, „das hätten wir …“ Er schnaubte und kämpfte mit etwas, und als Inge sich umdrehte, sah sie, dass er eine schwere hölzerne Leiter bei sich trug, die lehnte er gegen die Wand des Mühlhauses und blieb daneben stehen und blickte hinunter auf den Fluss.
„Soll ich dir helfen?“ fragte Inge hinauf.
„Nein“, antwortete er, „ich will nur sehen, wie ich’s am besten mache …“ Und er blieb gemütlich stehen, wo er war, und betrachtete sich die Lage.
„Was war da eben los, mit dem Mühlrad?“ fragte Inge.
„Ach“, sagte der Vater von Antonias Kind, „da hat einer, ein Trottel war es, wie deren Vautrin viele erschuf, da hat einer die Übersetzung nicht abgekoppelt, du verstehst, und da dreht sich der Mühlstein und dreht sich und dreht sich …“
Inge nickte, dann wies sie mit dem Kopf nach dem Pfeiler im Fluss, auf dem die Radachse ruhte, und fragte: „Habt ihr das selbst gemacht?“
„Das sagt Dietrich“, entgegnete der Vater von Antonias Kind grinsend. „Aber in Wahrheit war’s ein Mechaniker aus der Stadt, der kam hier durch, da ihn ein Auftrag rief, und sah, was zu machen war. Dann ließ er Zeichnungen da, und Pläne, und beschrieb genau, wie die Hölzer zuzuhauen seien, und auf dem Rückweg, ein halb Jahr später, da kam er wieder vorbei und leitete den Bau … so war das …“
„Du kennst dich ja gut aus“, sagte Inge und blickte ihn an, von unten.
„Oh ja“, antwortete er lachend, „ich weiß das alles von meiner Mutter, die hat’s mir genau erzählt, sie hat ihn nämlich gut gekannt, den Mechaniker aus der Stadt, musst du wissen …“
Inge schaute ihn verwirrt an. Ob das stimmte? Aber warum sollte er es erfinden … andererseits, er sah so aus, als könnte er das Blaue vom Himmel herunterlügen, einfach so, zum Zeitvertreib …
Der Vater von Antonias Kind wollte jetzt die Leiter packen, um sie hinunterzutragen, aber dann fiel ihm wohl ein, dass ihm bei der Arbeit heiß werden könne, und er zog sich das Hemd über den Kopf, warf es achtlos auf die Böschung. Dann griff er die Leiter und ließ sie den grasigen Hang hinunterrutschen, und Inge nahm sie in Empfang, dass sie nicht ins Wasser gleite.
„Jetzt könnten wir eigentlich anfangen ..“ sagte der Vater von Antonias Kind. Er trug die Hose weit heruntergezogen, glatt und jungenhaft war sein Oberkörper und leuchtend braun, die Haut glänzte über den straffen Muskeln … Inge blickte nachdenklich das Mühlrad an, das Mühlrad, und der Vater von Antonias Kind gesellte sich ihr zu und schaute auch, man musste ja sehen, wie man die Sache am besten anpacke, und so standen sie nebeneinander, und Inge spürte seine Schulter an der ihren.
Sie trat einen Schritt beiseite und fragte: „Was ist eigentlich mit deinem Kind?“
Er sah sie überrascht an und fragte zurück: „Mit meinem Kind … was soll da sein?“
„Sie sagen, du wolltest hier weggehen, Kaufmann werden …“
„Ach sooo“, machte er, in gleichgültigem Ton, „ja … man wird sehen …“ Er runzelte die Stirn.
„Dir gefällt es hier wohl nicht?“ fragte Inge.
Er blickte auf Inges Bluse, dorthin, wo es rund sich wölbte, und antwortete: „Manchmal schon …“ Und dann sah er ihr in die Augen.
Lass die dummen Witze, dachte Inge und trat noch einen Schritt zurück, und er blickte wieder auf den Fluss und fuhr fort, in mürrischem Ton: „Wem sollte es hier schon gefallen … Dietrich, mit seiner Liiieebe … und dann die Weiber … immer, wenn ihnen etwas nicht passt, kommen sie mit ihrer Liiieebe … glaub mir, sie wollen jeden unter dem Daumen halten, Dietrich vor allem will das, wehe, du tust nicht, wie‘s ihm gefällt … die spinnen alle hier —“
„Na …“ sagte Inge.
Er sah sie scharf an. „Erzähl bloß nicht, du hättest nicht mitbekommen gestern, was sich da abgespielt hat, im Haus, was sie da getrieben haben, die Weiber …“
Inge wurde rot und schaute ihm verwirrt ins Gesicht. „Wieso … ich hab geglaubt, die Männer, die gehen da alle weg …“ Ich fang ja an zu stottern, dachte sie und ärgerte sich.
„Nicht alle“, antwortete er gemütlich. „Man möchte doch schließlich auch wissen, was vor sich geht, oder?“
„Du hast gelauscht!“ rief Inge.
„Ja“, gab er zu. „Und wenn Dietrich auf diesen Hokuspokus reinfällt, und die anderen Männer, dann kann ich nur sagen, das ist mein Ort nicht … Und was im Übrigen der Weibern fehlt, das könnt ich dir zeigen … wenn du willst …“
„Hör auf!“ rief Inge gereizt und trat einen weiteren Schritt zurück, sie lief Gefahr, ins Wasser zu fallen.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 28.06.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)