Ritornell

Es herrschte Stille, man hörte den Regen gleichförmig murmeln auf dem Blätterdach, und Dietrich trat wieder heran an den Rand der Grube, blickte hinunter und fuhr fort, indem er die Hände ausbreitete:

„Da liegst du nun, du Fleisch. Hast dich eines solchen Endes wohl nicht versehen, in allen deinen Prächten, und hat dich Vautrin nun doch gefällt. Ja, so ist es uns bestimmt, und ist der Tod gar mächtig, nach Vautrins Willen, und fahrn wir alle dahin.

Nun aber freut euch mit mir, denn höret, lieben Brüdern und Schwestern, wie hat doch das Haus Bestand, und was aber bleibt, das ist die Liebe! Ja die Liebe, ich sage es euch.

So gehen wir hin und begraben dies Fleisch, werft‘s weg, ist gar nicht wert, dass man sich sein bekümmre, ist nur ein Kadaver, ein Kotsack, voll Harn und Schleim und Dreck, ist unrein, ja sag ich, werft‘s weg, was aber bleibt, das ist die Liebe.

So schaufelt nun, ihr Guten, begrabt‘s, dass tue die Erde ihr Werk, euch andern aber, euch sage ich, sind große Dinge im Kommen, ja, hat Vautrin wohl noch große Wunder bereit für euch alle, und werde ich noch vieles künden, dass euch mögen überfließen die Sinne vor dem überschwänglichen Wunder, oh wenn ihr wüsstet, was da sich vorbereitet, oh über das heilige Geheimnis! und wird euch über ein Kleines offenbar werden aus meinem Munde, und werde ich euch künden nach Vautrins Willen, und groß wird sein euer Jubel, und wird die Liebe über euch leuchten, die Liebe, die glüht und zehrt an uns als ein heiliges Feuer. Oh ihr Guten, Geduld noch, wird aber über ein Kurzes euch große Offenbarung zuteilwerden.

Nun grabt und schaufelt, dass mit dem Großvater Hamann geschehe, wie es Vautrin bestimmt hat, und falle sein Leib dahin …“

„… er falle dahin …“ respondierten alle

„… und werde zu Erde …“

„… und werde zu Erde …“

„… und geh ein in die Bäume …“

„… und geh ein in die Bäume …“

„… dass Leben entsteh aus dem Tod …“

„… dass Leben entsteh aus dem Tod …“

„… nach Vautrins Willen.“

„… nach Vautrins Willen. So sei es.“

Und Dietrich trat wieder zurück von dem Grab, und ringsum setzte erleichtertes Füßescharren ein, die Rede war zu Ende, und die Träger begannen zu schaufeln, mit raschen Schlägen, da fiel die schwarze Erde hinunter auf den Großvater Hamann, hinein in den offenen Mund, bedeckte die gefesselten Hände, die Beine das Gesicht den ganzen Körper, umgab und umschloss ihn mit feuchter Zärtlichkeit, bis nichts mehr zu sehen war von dem Großvater Hamann, man wusste noch, dass er dort unten lag, aber zu sehen gab es nichts mehr von ihm. Zum Schluss, wenn die Grube gefüllt war, würden die Träger Flusssteine schichten, dass ein Hügel entstehen würde, und übers Jahr würde wohl kaum einer noch wissen, welcher Hügel dem Großvater Hamann gehörte, denn sie sahen alle gleich aus, und war der Kastanienhain wie ein großes Schiff, das trug in seinem Bauch die Toten, und schwamm fort durch die Ewigkeit mit ihnen.

Ein großes Murmeln und Rätseln war unter den Häuslern, dunkel war gewesen die Rede des Hausherrn Dietrich, dunkel und gewaltig, und unerhört seine Ankündigungen.

Und die Frauen schauten sehr fromm.

„Mit einem üblen Geist, mit einem kranken Geist hat Vautrin sie geschlagen“, murmelte Grand Mère, die kaum ihren Zorn beherrschen konnte.

„Sch“, flüsterte Aslan, „halt bloß den Mund.“ Und er packte sie am Arm und schob sie rasch beiseite, dass niemand sie hören könne.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 26.06.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)