Die Menschweibchen feuern fast immer zum Mitmachen an. Fast nie, gegen das Mitmachen Widerstand zu leisten. Wenn ihr von außen zuschaut, werdet ihr vielleicht zögern, den Weibchen in diesem Punkt größere Verantwortung zuzuschieben als den Männchen. Das evasive Wegducken ist beiden Geschlechtern Gewohnheit. Mitmachen! Nur ja nicht die eigene Verantwortung erkennen! Aber wo immer die Menschtiere zusammenstehen und das Hohelied der Gemeinschaft singen, der Gemeinschaft, die dem Einzelnen das persönliche moralische Urteil abnimmt: überall in solchen Chören sind die Soprane melodieführend, und es sind keine Knabensoprane. Und die Weibchen sind nicht nur eifrig im Mitmachen, sie fordern das Mitmachen auch von anderen ein. Der Anblick eines Menschtieres, das nicht mitmacht, weckt in ihnen spontane Empörung, und von der Empörung zum Totschlag ist es nie weit. Sicher, der Totschlag wird dann von den Männchen verübt. Die Männchen wissen, dass sie die Zustimmung ihrer Weibchen haben. Wo die Genickschussanlage errichtet wird, die Gaskammer, was immer, ist die Zustimmung der Weibchen mitgedacht. Die männlichen Mörder fühlen sich gestützt durch die Zustimmung ihrer Weibchen. Zustimmung?
Anfeuerung.
Im Alter des Jungen waren stets alle Mädchen einer Schulklasse Taschen. Sie duldeten kein Abweichlertum, sie forderten Mitmachen ein. Hätte zaghaft Gegenmeinung sich zu äußern gewagt, sie wäre kreischend niedergelacht worden. Im Übrigen auch von der Frau Lehrerin mit schlechten Noten bestraft worden. Die jungen Weibchen waren ihre eigene Gesinnungspolizei. Sie wussten um die Richtigkeit ihrer Überzeugung, und wenn da wer abwich, dann stimmte dort was nicht im Kopf, da gab es nur eines, in ruhiger Überzeugung weitermachen, voranschreiten in geschlossener Einigkeit, einer befreiten Zukunft entgegen, hinwegsteigen über die Unterdrücker, die Taschen hoch, die Reihen fest geschlossen, mit ruhig festem Schritt.
Der Schritt kam dann überraschend ins Stolpern.
Nach den Toden des Jungen, als die Weckerdoktrin ernsthaft ins Kreuzfeuer geriet, wurde auch die Sache mit der Unterdrückung immer zweifelhafter, und das hatte segensreiche Folgen für die Frauenforschung.
Solange Unterdrückung ein Kernbegriff der Frauenforschung gewesen war, war Frauenforschung eine Ghettosache gewesen, Ghetto der Taschen. Je fragwürdiger der Unterdrückungsbegriff wurde, desto offensichtlicher wurde auch die Notwendigkeit einer breiten Frauenforschung. Frauenforschung, die eben nicht nur im Ghetto betrieben wurde. Denn dass die Rolle der Frauen in der Menschheitsgeschichte bisher nicht gerade im Fokus der Forschung gestanden hatte, war ja offensichtlich. Ungeheure Gelände der Unwissenheit galt es aufzuarbeiten, und es wuchsen Forschergenerationen heran, die sich mit großem Interesse an die Arbeit machten.
Das ging schnell. Ich habe schon angedeutet, wie Kritik am Hochgeleucht ein vertrauter Topos wurde in der Öffentlichkeit, und das global. Das Hocherweck wurde zum Inbegriff der antimodernen Revolte, zum Inbegriff des Plans, zum Inbegriff also gedanklicher und politischer Bevormundung. Die Bevormunder waren erwachsen aus dem Kontinent des Jungen, hatten aber versucht, ihren Plan dem gesamten Rest des Planeten aufzudrängen. Als alternativlos! Der Planet hatte keine Lust mehr, sich die Bevormundung gefallen zu lassen. Anders, als die Hocherwecken zuerst sich selber, dann der Weltöffentlichkeit weiszumachen versucht hatten, bedeutete der Untergang der Weckerdenke keineswegs das Heraufziehen neuer Unfreiheit. Im Gegenteil. Der Untergang der Weckerdenke vollzog sich parallel zur Etablierung des globalen Marktes, freien Marktes der Meinungen, freien Marktes der Ideen der Überzeugungen, vor allem freien Marktes der Vorschläge und der Einfälle, die Menschtiere befreiten sich aufatmend von der hocherweckten Bevormundung, von den hocherweckten Zwangssystemen der Stiefel und der Mützen und der Taschen, und erlebten das Heraufziehen einer neuen Freiheit.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 23.06.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)