Die Aufgabe der Menschtiere

Ihre Aufgabe im Leben wäre keine schwere. Müssten auf IHRE Stimme hören, IHRE weiße Stimme, weiter nichts. IHR den Platz einräumen in der inneren Burg, der IHR zukommt.

Keine große Sache. Das Allererste und das Allereinfachste.

Zu einfach für das idiotiedurchbrüllte Menschtier, das sich erst dann für so richtig groß hält, wenn die Durchgedrehtheit seiner Erfindungen alle Grenzen sprengt. Der Lederflüglige ist immer neu überrascht, auf was seine Schützlinge alles kommen, er käme von selber nicht darauf, dazu ist er zu blöd, aber wenn das Menschtier sich eine neue Erkeckerung zurechtgelegt hat, flüstert er ihm ein: Recht so, mein Kind, bist auf dem rechten Weg, unfassbar, wie klug du bist.

Er flüstert das von dem Platz aus, den ihm das Menschtier eingeräumt hat, den das Menschtier freigeräumt hat, indem es gegen IHRE Stimme taub sich stellt. SIE gehorcht der Freiheit des Menschtieres und drängt sich nicht auf, wenn das Menschtier SIE nicht hören will. Gehorcht demütig.

Erhoben ist das Menschtier über alle geschaffenen Wesen, indem SIE beschlossen hat, im Innersten eines jeden Menschtiers Wohnung zu nehmen. SIE, die Schöpferin Himmels und der Erden, duckt sich und nimmt Platz in so geringer Hütte. Doppelt erhoben ist das Menschtier über alle geschaffenen Wesen, indem IHR Wohnen in seinem Innern seiner, des Menschtiers, Schlüsselgewalt unterworfen ist, so hat SIE es beschlossen. Wenn das Menschtier sagt zu IHR: Ich weiß nichts von dir! so macht SIE sich nicht geltend, drängt sich nicht auf, gewährt seine Freiheit dem Menschtier, traurig und gehorsam, und das Menschtier gibt in seinem Innern dem Lederflügligen Wohnung, und kräht in irrer Selbstbegeisterung: Meine Freiheit!

Und dann macht es sich an die Arbeit und denkt sich seine Systeme aus, das eine bescheuerter als das andere, zum Beispiel die aufgeklärte, taschenschwingende Befreiung der Frauen.

In Parenthese – das ist wichtig, ihr müsst das verstehen – lasst mich wiederholen, lasst es mich wiederholen und festklopfen: Die Einfälle des Menschtiers sind nicht die Einfälle des Lederflügligen. Es ist nicht so, dass der Lederflüglige dem Menschtier irre Ideen einbliese. Dazu wäre er nicht imstande. Er hat keine Phantasie, keine Kreativität, kein Urteilsvermögen. Er hatte seine goldenen Flügel, einst, und er war schön, bevor SIE ihn verstieß und mich anwies, ihn in seinen Pfuhl hinunterzustürzen. Was ich tat. Nein. Die irren Ideen sind die Ideen des Menschtieres, darauf kommen die ganz von selbst. Der Beitrag des Lederflügligen ist viel einfacher: er bläst dem Menschtier Zustimmung ein. Er sieht, es geht gegen SIE, und da flüstert er seinem Menschtier zu: Da mach mit!

Mach mit.

Deshalb ist, angesichts der Großen Ideen, Zustimmung oder Ablehnung keine Frage der intellektuellen Leistung. Das Menschtier braucht keine Bildung, kein Verständnis, um sich den Idioten zu verweigern. Es muss sich der Stimme des Lederflügligen verweigern, seiner Weisung verweigern. Darum geht es. Das einfältigste Menschtier, das sicher nicht imstande wäre, die wirren Konstruktionen der Stiefel Mützen Taschen zu durchschauen, hat dennoch die Kraft, beim Blasen des Lederflügligen zu sagen, nein, da mach ich nicht mit. Ihr werdet das sehen. Es sind nicht die großen Durchschauer und Durchblicker unter den Menschtieren, die sich den Machinationen der Stiefel der Mützen der Taschen verweigern. Im Gegenteil. Es sind gerade die Gebildeten die Ausgebildeten die Klugen die Gedankenvollen, die mitmachen. Die sich mit der flachen Hand gegen die Stirn schlagen und rufen: Endlich Erleuchtung! Nur wird alles klar! Da fällt es einem ja wie Schuppen von den Augen! Und dann machen sie mit und ergreifen Knüppel und Knarre und verfolgen eifernd alle, die sich verweigern. Die sich verweigern, sind oft die Einfachen und Unwissenden, die starren an das Toben und Spucken und sagen: Nicht euer Ernst. Da mach ich nicht mit. Niemals und unter keinen Umständen mach ich da mit.

Ihr versteht, sie sagen das nicht heraus aus überlegener Einsicht. Sie sagen das, weil sie auf IHRE Stimme hören, IHRE weiße Stimme, und IHRE Stimme sagt, leise und unüberhörbar, so leise, dass die Planeten aus ihrer Bahn geraten und die Welten krachend Neugeburt wagen, SIE sagt: Halt dich da fern, mein Kind.

Die moralische Entscheidung des Menschtieres ist nicht an Klugheit und Verständnis und Bildung und Ausbildung gebunden. Die moralische Entscheidung ist immer so einfach, das auch das noch so simpel gestrickte Menschtier sie treffen kann ohne Überlegen: Entscheidung für IHRE Stimme, oder für diese andere.

Die klugen und gebildeten Menschtiere, oder so sich dafür halten, die entschuldigen sich dann gerne hinterher, wir wussten diesen Argumenten nichts entgegenzusetzen. Es klang alles so überzeugend.

Es waren nicht die Argumente, die sie überzeugten. Es war der stinke Klang der Stimme, der zu folgen sie sich entschieden hatten, und diese Entscheidung kann keiner mehr von ihnen nehmen, nur noch sie selber, in entschlossener Abwendung, in Umkehr und Buße und Reue.

Von daher kömmt, was ich euch schon gepredigt habe, und vergesst es nicht. Das glaubende Menschtier glaubt in Wahrheit nicht. Es gab niemals überzeugte Stiefel Mützen Taschen. Nicht ein einziges Menschtier glaubte jemals diesen Unfug wirklich. Hinterherrennend, wussten sie immer schon: das ist kahler Wahn. Und schwollen in dem Gedanken: So groß sind wir, so mächtig! Erklären einfach diese Setzung zur Wahrheit. Wir setzen jetzt, was wahr sei was falsch. Aus dem Nichts heraus! Wir sind der Ursprung von Wahrheit und Lüge! Wenn wir sagen: wahr, dann ist die Sache so, und wenn wir sagen: Lüge, dann ist es so. Das verfügen wir jetzt in unserer freien Willkür, in unserer Selbstermächtigung.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 19.06.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)