Irgendwie lag da ein seltsamer Geruch in den Gängen, Eluard wurde sich nicht recht klar darüber, es war eine Mischung aus verschiedenen Düften, nicht alle angenehm, auch süßlich, in manchen Winkeln roch es ein bisschen so, als ob dort zwei Erwachsene miteinander umgegangen wären, aber doch nicht ganz genauso. Seltsam.
„Das war schön, gestern, im Dorf“, sagte Lili seufzend. David hatte die Kinder geführt in das unbewohnte Dorf, ein Stück flussaufwärts war es gelegen, und sie hatten gespielt den ganzen Tag und bunte Steine gesucht am Fluss, und Schneckenhäuser und Muschelschalen, und David hatte Geschichten erzählt, von denen konnte man träumen, die ganze Nacht, schön war das gewesen.
Als die nach Hause kamen, des Abends, war Unruhe im Haus, die Frauen waren blass und fahrig, redeten auch unzusammenhängendes Zeug, sagten, sie hätten Lydia gesehen, und die Kinder fürchteten sich sehr. Und Dietrich, der Hausherr, wurde sehr ernst und lobte Vautrin und die Wunder, die der gewirkt, und dann gab es Streit, ganz unverhüllt, der Vater von Antonias Kind gefiel sich in höhnischen Bemerkungen, und einige von den Männern unterstützten ihn, und es endete damit, dass Dietrich ihnen sagte, wenn es ihnen hier nicht passe, dann könnten sie ja gehen, niemand beleidige Vautrin in seinem Haus, und sein Haus sei ein Haus der Liebe, nur der Liebe, und die Frauen standen dabei und machten fromme Gesichter.
Das alles hatte Eluard kaum verstanden. Warum regten sie sich so auf? Und was hatte die tote Lydia mit Vautrin zu tun? Und wieso redeten sie ständig von Liebe, immer wieder von Liebe?
Eluard fühlte sich unbehaglich und allein. Er sehnte sich nach dem Knarren der Räder, dem schaukelnden Gang der Ochsen, und der ruhigen, praktischen Art der Kaufleute. Aber die waren so mit sich selbst beschäftigt, er konnte kaum zu ihnen hingehen, gerade, dass Inge sich einmal ein paar Minuten um ihn kümmerte. Waldemar spielte mit den anderen Kindern, er war zu gesund, als dass ihn das Haus oder seine Bewohner beschwert hätten, nein, er freute sich vielmehr an den Winkeln und Gewölben, es war das Neue, es strömte hervor aus der Fülle der Dinge, und er, Waldemar, durfte damit umgehen eine bunte Weile.
Aber Eluard ängstigte sich. Angefüllt war das Haus mit Geschichten, wie es sich gehörte, doch waren die Geschichten von wunderlicher Art, voll der unguten Wunder und wächsernen Gesichter.
Ob es nur der Tod war, der Tod des Großvaters Hamann, der das hervorrief? Es herrschte ein Geist von Krankenstube im Haus, im ganzen Haus, und war doch wohlbestellt und reich, reich an Menschen wie an Gütern wie an Vieh …
Und plötzlich verspürte Eluard Sehnsucht nach Magdalena. Ja, nach Magdalena, der kranken Frau. Es stand wie ein Bild vor seinen Augen, dass er hingehen müsse und sie herausziehen aus dem Stroh und dem Fieberdreck, hinaus in die Luft, unter die rauschenden Bäume, den blauen Himmel.
„Ich will gehen und Magdalena besuchen“, sagte er, „und du musst mich hinführen, ich find den Weg nicht alleine.“
„Oh ja“, sich Lili, „jaja, ich komm mit …“
„Aber du darfst nicht mit rein“, fuhr Eluard fort, „ich will sie allein besuchen.“
„Aber warum?“ fragte Lili, und sogleich füllten sich ihre blauen Augen mit Tränen. „Warum darf ich nicht mit rein?“
Sie tat ihm leid, er hatte ein weiches Herz, und rasch wischte er mit seiner Kinderhand ihr Gesicht ab und küsste sie. „Es ist eben so“, sagte er. „Ich versprech dir auch, dass es nicht lange dauert … ja, du wartest draußen und spielst mit deiner Puppe, und ich geh rein und besuch Magdalena, und das dauert nur kurz, und dann komm ich gleich wieder raus.“
„Also gut“, sagte Lili bekümmert, „aber das ist nicht nett von dir.“
Gleichwohl nahm sie ihn bei der Hand, wie es ihre Gewohnheit war, und führte ihn die Treppen und Gänge hinauf vor das Krankenzimmer.
Oben kam ihnen Inge entgegen, die trug eine Schüssel mit Wasser, das hatte sie in der Küche angewärmt. Sie lächelte, als sie die Kinder sah, wie niedlich sie sind, dachte sie, sagte es aber nicht.
„Ich wart hier draußen“, rief Lili, sie tat es, um Eluard Erklärungen zu ersparen, das war rührend, und Eluard fühlte einen Stich von Schuldbewusstsein.
„Also“, sagte Inge zu ihm, „dann komm nur mit rein, Mama ist wach, wir wollen sie gerade waschen.“
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite12.06.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)