Den kleinen Sohn des hingerichteten Königs hatten die Revolutionäre einem versoffenen Proletenschwein aus der Vorstadt zur Umerziehung überantwortet, dass aus ihm „ein Bürger“ werde, der Gleichheit! Freiheit! Brüderlichkeit! zu brüllen vermöge.
Umerziehung! das ist euer Ding! wurde nun den Weckern entgegengerufen. Wo ihr die Macht hattet, dort habt ihr die Umerziehungslager installiert. Was dem Königssohn geschah, das erlitten später die Millionen. Und wo ihr nicht geknüppelt und geknechtet habt, da habt ihr die Umerziehung auf die schleichende Art betrieben, habt euch den zu Erziehenden als die alternativlosen Pädagogen empfohlen, wieder einmal, als die Pädagogen, die genau wissen, was für die armen Kindlein gut ist, viel besser als die selber! Bevormundung und Besserwisserei sind eure Instrumente, aber lüftet man den Deckel über eurem Größenwahn, kommt nichts raus als leere Luft.
Das Kind des Königs starb bald unter den Misshandlungen, auch die Umerziehungslager der hocherweckten Jahrhunderte überlebten die meisten nicht.
Wissen wir! Wissen wir doch alles! fauchten die Wecker erbittert.
Sie konnten die Kritiker nicht mehr abschütteln. Das war selbst zu Zeiten der Zweihundertjahrfeier schwierig gewesen, und damals hatte es die elektronischen Spielzeuge noch nicht gegeben, die Berichterstattung über die dreitägige Jubelfeier war vollständig in der Hand der obrigkeitsfrommen Pressbengels gewesen, und die hatten geliefert, was von ihnen verlangt worden war, sie hatten das Hosianna der Revolution gesungen, und durch die nächtlichen Straßen tobten festbeleuchtet die freudig erregten Massen. Auf dem Höhepunkt der Feier hatte man eine tonnenschwere schwarze Sopranistin auf dem Tieflader zum Platz gekarrt, da zweihundert Jahre zuvor die Revolution ihren Ausgang genommen hatte, auf dass sie daselbst die Revolutionshymne brülle, es war ein Schauspiel gewesen von abgründiger Würdelosigkeit, der Junge hatte es damals mitangesehen und die Zähne zusammengebissen.
Noch einmal fünfzig Jahre später also, der Junge zumeist schon tot, wollten die Revolutionsbesoffenen erneut ihre Feier haben, Feier der Großen Revolution, Gründung der Moderne, Feier der Reinen Revolution! Denn was die Stiefel von sich selber behauptet hatten, nämlich: Aber wir sind sauber geblieben! das behaupteten die Lobhudler der Revolution auch von den Revolutionären, da hat es vielleicht Entgleisungen gegeben, aber die Revolution an sich ist sauber geblieben, die hat das Gute gewollt!
Anders als fünfzig Jahre zuvor ließen sich die Gegenstimmen nicht mehr ausblenden, es gab die elektronischen Spielzeuge, und es gab die Fülle der Fernsehsender, auf die auch die feierwillige Obrigkeit keinen Zugriff hatte.
Es gab vor allem eine neue Öffentlichkeit, die von den offiziellen Sprachregelungen nichts mehr wissen wollte. Stimmungsumschwung. Was immer den Revolutionären und der Revolution Gutes nachgesagt wurde, es wurde beantwortet mit Hohngelächter, was immer der Revolution und den Revolutionären Böses vorgerechnet wurde, es fand Glauben. Die Wecker hatten mit dem Instrument der üblen Nachrede seit Jahrhunderten ihre Macht gesichert, nun bekamen sie ihre eigene Medizin zu schmecken. Gefiel ihnen gar nicht.
Was das Interesse fand der neuen Öffentlichkeit, das waren die planvollen Gegenprogramme zu dem offiziell angeordneten Hochgejauchz, eine Gruppe von Historikern zog in der Hauptfeiernacht von einem Ort des Massakers zum nächsten, hier waren vierhundert Gefangene von der revolutionär eindringenden Meute niedergemacht worden, da ein Dutzend Nonnen, hier hatten die, so zu Futter für das Hackebeil ausersehen waren, ihre letzten Stunden verbracht. Vorbereitete Einspieler illustrierten die Atrozitäten, und die Nation saß vor den elektronischen Spielzeugen und sah sich das an, und von dem Propagandaangebot der Staatssender wollte niemand etwas wissen, das konnte nicht einmal mehr die Frömmigkeit der hörigen Pressbengels vertuschen. Statt, wie geplant und wie vor fünfzig Jahren noch durchgepeitscht, zu hocherektem Glanzkrawall gerieten die Feiern zum peinlichsten Debakel, das die Gesinnungsmachthaber je erlitten hatten. Die Reden und der spritze Ausschank von Gesöff wurden immer wieder von Störungen unterbrochen, vorbereitet oder spontan, Sprechchöre und hämisches Gelächter schlugen zusammen über dem oratorischen Gedenken, überall tauchten bunte Luftballons auf in Gestalt der allbekannten Kopf-ab-Maschine, die, an den unmöglichsten Orten befestigt, von den herbeihastenden Ordnungskräften oft nur unter Lebensgefahr beseitigt werden konnten, das höhnische Anfeuern durch die feixenden Zuschauermengen besserte die Laune der zum Klettern gezwungenen Obrigkeit nicht, es kam dahin, dass, zur Revolutionsfeier! Massen auseinandergetrieben werden mussten, einer der Büttelobristen verlor die Nerven und ordnete den Einsatz von Wasserwerfern an, gegen die befreiten Massen, die Rede des Staatspräsidenten ging im Tumult unter und musste durch eine vorbereitete Konserve ersetzt werden, da vermochten selbst die frommen Pressbengels das Desaster nicht mehr in einen Erfolg umzulügen.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 09.06.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)