Ja, der Tod war im Haus; den galt es nun fortzuwegen.
Vierundzwanzig Stunden war der alte Großvater Hamann tot, und doch war ihm so recht keine Veränderung abzumerken, er lag da, wie er schon auf seinem Krankenbett gelegen hatte: Kopf in den Nacken geworfen, dass der Kehlkopf spitz nach oben stand, Hände flach an die Seiten gelegt, mit ausgestreckten Fingern, da die Sehnen ihre Zugkraft verloren hatten, und der Unterkiefer hatte sich gesenkt, so dass der Mund einen dünnen Spalt weit offen stand: und hinter dem Spalt sah es sehr dunkel aus.
Am Morgen war Grand Mère mit einem gurgelnden Laut aufgewacht, wie es bei älteren Frauen leicht vorkommt: schlaff und wohlig warm werden im Schlaf die Glieder, das Kinn sinkt herab, und dann träumen sie, wie alte Hunde vor dem Ofen, doch das Erwachen kommt, schreitet hinein in den Traum, und der Traum will noch etwas sagen, findet aber die Sprechwerkzeuge übel vorbereitet: so entsteht das Gegurgel.
Grand Mère also war mit einem gurgelnden Laut aufgewacht, und hatte zwei Dinge vorgefunden: Magdalenas Fieber war gewichen, und sie schlief einen tiefen, erschöpften Schlaf; und der Großvater Hamann war gestorben, einfach so, wie man es erwartet hatte, ohne Aufhebens.
Dass er tot war, merkte Grand Mère erst nur an dem Geruch, der alte Mann hatte Darm und Blase entleert, als er verschied, und das war ein Wunder, denn er hatte seit bald einer Woche nichts mehr zu sich genommen; trotzdem war er wohlgefüllt gewesen.
Grand Mère rief die Frauen zu Hilfe, und auch Dietrich kam, mit David und dem Vater von Antonias Kind; und die Männer packten zusammen das Stroh und die Decke und das versabberte Kleid des Großvaters Hamann und brachten alles hinaus und hinter das Haus, wo sie es schnell verbrannten. Die Frauen aber reinigten den erkaltenden Körper, das war nicht leicht, der Kot hatte eine teerig-zähe Beschaffenheit, und sie mussten Holzasche anwenden, da mit Wasser allein nichts auszurichten war.
Danach hoben sie den Leichnam auf ein Brett, und die Männer trugen ihn hinunter in die Große Halle und schoben das Brett über zwei Böcke, unter den gleißenden spitzgiebeligen Fenstern; da lag er nun und war aufgebahrt, und wer wollte, konnte hingehen und ihn sich noch einmal ansehen.
Schnell wurde die Nase des Großvaters Hamann spitz, noch spitzer, als sie es in seinen letzten Lebenstagen gewesen war; und kugelig lagen die Augen in tiefen Höhlen. Auch die Wangenknochen starrten hervor, und die Rippen, der Bauch aber war eine eingefallene Mulde, und Arme und Beine wie die eines Skeletts.
Man sah nun übrigens, dass Vautrin den Großvater Hamann prächtig ausgerüstet hatte, sein Glied war wie das eines Pferdes, Elisabeth hatte gar nicht gewusst, wie sies betten sollte, schließlich hatte sie es über den linken Oberschenkel gelegt, da lag es nun, dick und lang und rund, auf dem klapprigen Altmännerbein, und die Frauen sahen es an und wunderten sich im Stillen, dass man zu Lebzeiten des Alten so wenig davon gehört hatte. Es ist eben nicht die Größe, die‘s macht, sagte der Vater von Antonias Kind, und die Frauen kicherten und stießen ihn in die Seite.
Schnell war der Großvater Hamann kalt geworden, und dann dauerte es nicht mehr lange, und er wurde steif, es fing innen an, im Körper, wo man’s nicht merken konnte, am Zwerchfell und am Herzen, und ergriff die Muskeln am Nacken und im Gesicht, dass sie wurden wie Holz und ganz unbeweglich, und schritt hinunter den Körper bis in die Füße. Und so lag nun der Großvater Hamann auf seinem Brett in der Großen Halle, und war selber wie Holz, und es war ganz still um ihn, denn alle waren gekommen und hatten ihn angeschaut, und dann waren sie wieder gegangen.
Er gab kaum noch einen Laut von sich, der Großvater Hamann, gelegentlich drang ein Knistern oder Gurgeln hervor aus seinem Inneren, aber da musste man schon sehr genau hinhören. Er war eben allein, der Großvater Hamann, da musste er sich mit sich selbst beschäftigen. So gerann und stockte und krustete das Blut, später würde es wieder flüssig werden; und an den tiefen Stellen des Körpers, so, wie er gebettet war, bildeten sich rötlichblaue Flecken. Auch begannen die Magensäfte allgemach mit dem Verdauungsgeschäft, sie ließen sich Zeit, man würde in großem Stil arbeiten können, später, unter der Erde.
Vierundzwanzig Stunden also war der Großvater Hamann tot, und lag steif und nackt auf seinem Brett in der Großen Halle, und der Tod war bei ihm; den galt es nun fortzuwegen.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 08.06.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)