„Geschaffen hat Vautrin dieses Haus im Anbeginn, wie es steht, mit gefügten Mauern, trotzend der Zeit, trotzend dem Fluss, trotzend dem Wandel. Und war leer von Menschen das Haus, wohnten darin die Eulen und kleinen Tiere, wiegten sich die Bäume und Büsche am Dach. Und war Wald um das Haus, hoch und rauschend, war Wald um das Haus. Und wusste keiner vom Haus, verloren war seine Kunde unter den Menschen. Und lebte da in einer fernen Stadt eine Frau, der hatte Vautrin eingegossen die Fülle der Liebe, dass die Menschen ihre Nähe suchten und sich an ihrem Anblick labten, und Trost spendete sie allen im Unglück, und freute sich mit den Glücklichen. Lydia war ihr Name. Und hatte sie einen stattlichen Mann, der war Sammler in der Stadt, und nährte sie gut, und gebar durch Vautrins Gnade die Fruchtbarkeit ihres Leibes zwei Kinder, und waren beides Mädchen, gesund an Gestalt und Gliedern. Und unerhört war solches Glück, kamen die Menschen von weither, aufzusuchen die Frau, dass von der Gnade Vautrins vielleicht überfließe ein Teil. Da war sie gut zu allen die kamen, und liebreich, dass jedermann überfloss in ihrem Lob, und das Bild des Menschen hell wurde in allen Herzen.
Und wollte es Vautrin, dass eine schwere Krankheit kam über die Stadt, die Menschen siechten dahin über ein Kurzes, grässlich waren sie anzuschauen, brach auf die Haut, brach auf das Fleisch, und floss Eiter hervor und Blut, und Durst verzehrte sie, bald welkten und starben dahin, die vor Kurzem noch fröhlich waren und wohl essen mochten.
Da traf es auch die helle Frau, und sah Lydia sterben ihren Mann und ihre beiden Töchter, war Vautrins Wille, und grausam kam er über sie. Groß an Elend.
Und begrub sie die Toten mit eigenen Händen, scharrte Erde über die Leichen, und blutig ward sie und verklebt von Erde und Schmutz, und da das Werk getan, entfloh sie, gejagt von Schmerz und tausend Nöten.
Doch wer vermag zu fliehen ’s eigene Herz?
Lange so lief sie, und wanderte, ziellos. Sie sah die Länder Vautrins, bettete den Kopf auf der kahlen Erde, trank vom Fluss, und nährte sich von Beeren und Wurzeln, wie die wilden Tiere. Zerrissen war ihr Kleid, blutig die Füße, aufgesprungen die Hände, doch merkte sie’s nicht, denn jeden anderen Laut übertönte das Geschrei ihres Herzens, das war wie ein Tier, das der Adler zerfleischt.
Und wurd es Winter, und Schnee fiel, und sah sie wandern noch immer, und waren ihre Spuren in der Einöde, und fand sie keinen Menschen. Da kam sie in einen dichten Wald, still stand der, erstorben im Schnee. Und gedachte sie schon, sich zu betten im Schnee, dass er sie verhülle als eine leichte Decke, und sie nicht mehr gesehen werde von der Welt, da traf sie – dunkel wurde es schon – auf eine helle Mauer, die stand zwischen den Bäumen. Und sie ging weiter und suchte sich ihren Weg entlang der Mauer, da fand sie ein Tor, und dicht am Tor da war ein Fluss, und war erstarrt und schweigend unter dem Eis des Winters.
Und sie ging hinein und fand das Haus.
Da war das große Haus, unendlich die Flucht seiner Räume und Zimmer und Säle und Gemächer, und hoch waren die Türme, in den Kellern aber war es gut und warm, denn tief lagen sie unter der Erde.
Und Lydia, die helle Frau, dankte Vautrin und bettete sich zur Ruhe. Am anderen Tag aber hungerte sie sehr, und sie ging hinaus zum Fluss und fand dort, am erstorbenen Ufer, eine Laib Brot liegen, gebacken vom reinsten Mehl. Lag aber das Brot auf einem Stein inmitten des Schnees, und waren keine Spuren von Füßen um den Stein, noch sonstige Abdrücke, und da verstand Lydia wohl, dass es Vautrin selbst war, der sie auf so wunderbare Weise erretten wollte.
Und richtete sie sich her ein Gemach im Haus, und trank vom Wasser des Flusses, und aß vom Brot, das Vautrin ihr gab, einen jeden Tag. Doch fastete sie einen Tag in der Woche und hungerte, und brach das Brot und gab’s den kleinen Tieren, die da bei ihr waren in dem Haus, und die Tiere dankten‘s ihr und wärmten ihren Leib zur Nacht.
Und kam der Frühling, der brachte einen wandernden Händler, der hatte sich im Walde verirrt. Fand der Händler die helle Frau, fand er sie, fand er das Haus. Und Lydia nahm ihn auf und speiste ihn von ihrem Eigenen, und gab ihm ein Dach über dem Kopf und rettete ihn vorm Tode. Da war der Mann, der wandernde Händler, voll der Dankbarkeit, und als die Zeit kam, da ging er davon und fand den Weg hinaus aus dem Wald und trug die Kunde und den Ruhm weit hinaus, von der einsamen Frau in dem Haus am Fluss, und von den Wundern, die Vautrin an ihr tat.
Das hörten die Menschen, und verwunderten und erfreuten sich des gar sehr, und nicht lang, da machten sich auf welche, die Frau zu besuchen und mit eigenen Augen zu sehen, was ihnen die Kunde zutrug.“
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 04.06.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)