Tod und Leben

„Schön ist dein Denken und angenehm zu hören“, sagte Dietrich, „es geht ein und erfüllt das Herz mit Freude, und mit Sehnsucht nach fernen Dingen, nach fernen Ländern. Doch liegt auch eine Leichtigkeit darin, die will sich nicht binden, die will nicht halten. Denn siehe, Bruder Aslan, schwer ist unser Los, hart unsere Arbeit, den Acker bestellen wir, sorgen um die feste Wohnung: nicht Wandel wollen wir, sondern Beständigkeit. Beständigkeit, das ist das Ziel des Wohnenden, dass er seinen Platz kenne und weiß um die sichere Ankunft der Dinge, dass er weiß, dass das Gesäte Frucht trage und dass der Acker einer ist, der Frucht trägt, und dass das Haus gebaut ist für heute und morgen und auch den übermorgenden Tag, und für die Kinder und Kindeskinder. Nicht ist es da gut, nicht frommt es, an das Ziehen zu denken, an den Wechsel und die Veränderung, wo doch nur das Stetige das Leben erhält, die feste Erde, die wandelnde Sonne in vorgezeichneter Bahn, und Sommer und Winter und Frühling und Herbst, wie Vautrin es gewollt. Aber aller Bestand ist abgetrotzt dem Tod und dem Nichts, alles was steht, das sorge, dass es nicht falle. Deshalb sage ich, dass der Tod ist ein gepanzerter Reiter, der fällt ein in die Felder, die mühsam bestellten, und nichtet die Zurüstungen der Menschen, und Kampf ist ihr Los, dass sie sich seiner erwehren und wahren die Festigkeit der Dinge.“

„Und doch“, sagte Aslan, „und doch, Bruder Dietrich, ist es der Wandel, der dir das Leben bringt, so wie der Kaufmann kommt und bringt Kunde von fernen Dingen, dass du sie erfahrest und in deinem Herzen bewegst. Wald ist; dann kommt einer und rodet und schafft aus Wald den Acker: das ist Wandel, das ist Vergehen und Entstehen. Und der geht hin und senkt ein in die schwarze Krume das Samenkorn: das stirbt dahin im feuchten Schoß und vergeht und fault und wird selber zu Erde, daraus aber erhebt sich die Pflanze, dich zu nähren mit ihrem Korn und Reichtum. Und gekräftigt gehst du und besuchst dein Weib und wohnst bei ihr: da erleidest du den kleinen Tod, und Schwäche und Mattigkeit; und entsteht doch Leben daraus, und Fleisch von deinem Fleisch, wie es Vautrin gewollt. Ich sage dir, schauen soll der Mensch die Fülle der Dinge, und sich freuen an ihrem Wandel. Dann wird sein Herz weit, und frei der Blick, und er umgreift die fernsten Dinge, die fernsten und die nächsten, und er sieht die Unendlichkeit der Wege, und erkennt, dass alles was ist, immer war und immer sein wird, ein Tropfen im Ozean der Wandlungen. Und keine Schrecken mehr sind in Vautrins Schöpfungen, nur Heiterkeit und die Kraft des Lebens, und der Tod hat keinen Stachel.“

Eine lange Zeit herrschte Schweigen, und Dietrich dachte nach, tief, war versunken in die Betrachtung seiner Gedanken. Dann hob er den Kopf, und ermannte sich, und sprach: „Lob sei Vautrin, und Dankbarkeit, dass er die Gedanken eingießt in die Köpfe der Menschen, und gibt die Fülle der Rede. Schön waren deine Worte, und haben ein großes Bild erzeugt in meinem Herzen. Anders sind deine Gedanken als die meinen, anders die des Kaufherrn als die des Wohnenden. Und führt Vautrin die Menschen zusammen, dass sie sich schenken die Frucht ihrer Gedanken, und sich daran erfreuen zu gegenseitigem Nutzen, und mehren das Wissen ihrer Herzen. Viel hast du uns mitgeteilt, Bruder Aslan, dass wir nun ahnen die Wege des Kaufherrn, und was sein Herz bewegt, und sehen die Welt mit seinen Augen. Und verstehe ich, einen leichten Abdruck nur bilden wir in deinem Herzen, und gehst du wieder, so war das Haus wie viele, und in allen west die Gnade Vautrins gleichermaßen und seine Unerschöpflichkeit, und endlos ist dir der Strom der Bilder, doch fest sind die Gestalten den Zurückbleibenden, sie wurzeln in der Erde, die nährt sie und trägt sie und nimmt sie auf, fest stehen sie an ihrer Stelle, und wissen ihre Besonderheit. Denn siehst du, Bruder Aslan, in deinem Wissen ist der Wechsel, und das bunte Spiel der Verwandlungen, vergänglich ist ein jedes Ding und wird ersetzt durch ein anderes. Uns aber ist kostbar das Besondere, das fest gegründet steht, von Ferne schon wissen es die Menschen, und bildet eine feste Gestalt in ihren Herzen. Und Halt und Trost ist im Vergehen das Wesen, das besteht, über die Menschen hinaus und ihre Vergänglichkeit. Klein nur ist das Leben, und schafft doch eine Form, die ist wandellos, wie der Baum stirbt, und ist doch die Eiche ewig und wandellos, wie der Mensch stirbt, und ist doch seine Gestalt ewig und wandellos. Und siehe, der kleine Mensch, mit schwachen Kräften müht er sich und trotzt dem Tod, und schafft doch Gestalt, die wandellose, das ist: das Haus. Jawohl, das Haus. Fest stehen seine Mauern in der Erde, und leben die Menschen darin nach vorgezeichneten Formen, wie es Vautrin gewollt; und Dauer ist verliehen den Formen, und Bestand.

So höre.“

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 02.06.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)