Allen Sektierern ist die Überdrehtheit gemeinsam. Traten die Weibchen im Rudel als Taschen auf, war Einrede vorweg sinnlos, das galt für Mützen und Stiefel ebenso. Das überdrehte Gelache war untrügliches Merkmal von Taschenrottungen, der Junge kannte die kreischenden Mädchenhorden schon aus seiner Schulzeit, genau gesagt, er begegnete ihnen Zeit seiner Leben an jeder Bushaltestelle. Insofern beutete das Taschentum vorhandene Neigungen des Menschweibchens nur aus. War einer so dumm, sich hinzustellen, wurde ihm mit kreischendem Niederlachen begegnet. Die Taschentheorie lobte solch Verhalten. Rationales Argumentieren, so versicherte die Theorie, sei männliches Machtinstrument. Damit sollten nur die Frauen unterdrückt werden. Lasst euch nicht unterdrücken! Steht zu eurer Wahrheit! Die Konstruktion war unmittelbar aus der Mützendenke übernommen, als welche stets versichert hatte: das Argumentieren gegen die Wahrheit des Mützendenks ist Machtinstrument der Unterdrücker, die wollen euch bloß ein X für ein U vormachen, gar nicht erst hinhören. Wenn sie euch aber gelten lassen, dann ist das erst recht Repression, dann damit marginalisieren sie euch. Da nickten die Taschen gläubig, aber ja, das kannten sie von den Mannschweinen, die ließen sie auch reden, und gingen davon und machten weiter ihr Ding, nieder mit den Unterdrückern!
Blieb den Gegnern von Mütze Stiefel Tasche also nur ein Weg, da ihnen Argumentieren oder Geltenlassen nicht erlaubt war: bedingungslose Unterwerfung. Dazu aber mochten sich die Gegner nicht verstehen, sondern bastelten lieber weiter an der Marktordnung, und die Stiefel die Mützen die Taschen mussten sich behelfen wie sie konnten, die Instrumente benutzen, wie sie zuhanden waren.
An Instrumenten aber gab es einen reichlichen Vorrat. Wenn der Tag des Kampfes kam, und für einen echten Stiefel eine echte Mütze eine echte Tasche war eigentlich immer Kampfzeit, konnte der Koffer geöffnet werden. Die Waffen waren schon immer geschmiedet, man war allzeit bereit. Hart wie Stahl, zäh wie Leder, flink wie die Hunde. Kein Kampf erwischte einen Stiefel eine Mütze eine Tasche unvorbereitet. Man musste nicht erst suchen, was man jetzt machen, welch Mittel man jetzt ergreifen solle. Man wusste es immer schon. Ein Schriftsteller sagt was Falsches? Gleich mal das zuständige Finanzamt von dem feststellen, Liste liegt im Instrumentenkoffer, anonymen Brief schreiben. Hat der auch all seine Einnahmen wirklich abgerechnet? Die Finanzobrigkeiten zur Zeit des Jungen hörten begierig auch auf anonyme Denunziationen, die Organisation einer Wohnungsdurchsuchung war für die gar nichts. Der Übergriff regierte, und die Taschen bedienten sich des Übergriffs als Instrument. Selbstverständlich lagen in der Tasche zuhanden die Telefonnummern willfähriger Pressbengels. Ein Kommentar in den elektronischen Spielzeugen war schnell geschrieben. Einfach mal was behaupten über diesen Falschen. Bewiesen werden muss nichts. Einfach mal was andeuten, in die Welt setzen. Nähe herstellen zu den Stiefeln. Der riskiert sehenden Auges Beifall von der falschen Seite! Na, dann ist ja alles klar. Ist einer von denen.
Denunziation Diffamierung Verleumdung, jedes Instrument war recht.
Interessanter noch als die Instrumente im Koffer sind die Instrumente, die nicht darin waren: Abwägen Sachgemäßheit Bedenklichkeit. Kannten die Taschenträger nicht. Es ging niemals um die Sache, immer um die Person. Mit Abwägung der Sache hielt man sich gar nicht erst auf. Beschäftigung mit der Sache! Damit macht man die Sache doch überhaupt erst bekannt! Gleich auf die Person losgehen! Zielstrebig! Mal in der Vergangenheit von dem schnüffeln. Findet sich immer was! Garantiert! Und schon verheddert der sich! Muss Erklärungen abgeben. Der war als Student mal in Behandlung in der Nervenklinik? Vor einem halben Jahrhundert? Darüber jetzt berichten! Und der da! Bewerber um ein öffentliches Amt! Lässt sich da nicht eine finden, die bestätigt, der hat mir als Schülerin vor vierzig Jahren unter die Bluse gefasst! Kann der lange sagen, kenn die nicht! Darüber jetzt berichten! Und Fotos von dem bringen! Von dem Gesicht! Das jeder das sieht! So sieht so einer aus! Und schon zappelt der, und die Taschenträger gucken zu, lachend, entspannt, zurückgelehnt. Sie lachten immer. Sie waren immer entspannt. Sie waren immer im Besitz der Gewissheiten. Wen sie als Feind ausmachten, auf den mussten keine Rücksichten mehr genommen werden. Der war kein Mensch mehr, der war ein Falscher.
Und es galt: Die Taschenträger stehen immer am richtigen Ende des Zeigefingers, und der Falsche immer in der Schusslinie.
In der souveränen, in der skrupellosen Handhabung dieser Instrumente unterschieden sich die Taschen in nichts von den Mützen, von den Stiefeln. Wie diese waren sie bar jeder Moral, bar jeden Anstandes, bar jeder Bedenklichkeit. Wie die Stiefel wie die Mützen kannten sie keine Grenzen. Erst einmal Witterung aufgenommen des Opfers, war da keiner mehr unter ihnen, der noch gesagt hätte: So, jetzt muss aber mal genug sein, was immer wir gegen den haben, jetzt gehen wir zu weit, lasst uns diese Grenze nicht überschreiten. Es gab keine Grenzen, die sie nicht überschritten hätten. Wer in die Schusslinie ihrer Zeigefinger geriet, war genau das, was er auch für die Stiefel was er auch für die Mützen war: lebensunwertes Leben.
Und wenn sie einen zur Strecke gebracht hatten, lachten sie.
Das Lachen hatte etwas Hexenhaftes, der Junge kannte den Klang von der Pferdeschnauzigen her, von der Grimmvettel, die hatten auch immer zusammen gelacht, und niemals fröhlich. Es war der Klang totschlagbereiter Hysterie gewesen. Wer uns in den Weg tritt, der hat kein Lebensrecht. Und wer uns im Weg ist, das entscheiden wir.
Die Stiefel die Mützen die Taschen, sie waren alle miteinander Hocherweckte. Genuine Kinder des Hocherwecks, und das Hocherweck war ihrer aller gluckende Mutter.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 22.05.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)