Die Tyrannen

Von Anfang an wurde mit dem Arsenal der Begriffsverwirrung gearbeitet. Die Aristokraten waren Tyrannen, der König war Tyrann, versicherten die Revolutionäre. Tatsächlich waren es die Revolutionäre, die eine Tyrannei errichteten, wie sie unter der alten Monarchien nur selten, wenn überhaupt, ersehen worden war. In wenigen Monaten brachten sie mehr Menschen aus politischen Gründen unter das Hackebeil, als das alte Königreich in fünfhundert Jahren. Sie unterwarfen alle Bücher alle gedruckten Blätter strengster Zensur, welcher Schreiber ihr Missfallen erregte, musste um sein Leben rennen, und was das Missfallen der Eisenfresser erregen würde, konnte niemand voraussagen. In der alten Monarchie war im Laufe der Jahrhunderte mal der eine oder andere Schriftsteller seiner kessen Lippe wegen im Kerker gelandet, getötet worden war keiner. Unter der aufgeklärten Revolutionsherrschaft wurde die Schriftstellerei zum Beruf, lebensgefährlicher als der des Raubtierdompteurs. Alles, was die Revolutionshyäne selber verbrach, das warf sie rückwirkend der Königsherrschaft vor, die Lüge war ihr Lebenselement. Vom ersten Tag an logen die hocherleuchteten Revolutionäre, und sie würden niemals wieder damit aufhören, nicht bis zu den Tagen ihres Untergangs in der religiösen Wende, zweihundertfünfzig Jahre später.

Die Bewohner des Revolutionsparadieses hatten, wenn sie überhaupt überleben wollten, sich zu einem Tugendkatalog zu bekennen, der auf blanker Lüge ruhte. Sie mussten täglich im Chor „Freiheit Gleichheit Brüderlichkeit“ brüllen und lebten in einer Unfreiheit, in einer krassen Ungleichheit, in einem Zustand des brutalisierten Egoismus, wie ihn die Welt bis dahin nicht gekannt hatte. Die Bewohner des Freien Marktes, der sich im Kontinent jenseits des Ozeans etabliert hatte, durften derweilen nach ihrem Glück streben, nämlich nach dem, das jeder für sich selber als Glück definierte. Im Revolutionsparadies hackte das automatische Beil Köpfe ab im Akkord, und wer fliehen konnte, floh gern auf den Kontinent jenseits des Ozeans.

Das Verfassungspapier, das die Gründerväter der neuen Republik auf dem Kontinent jenseits des Ozeans verabschiedet hatten, war das Gründungsdokument der politischen Moderne.

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die die Revolutionshyäne verabschiedet hatte, war das Gründungsdokument der Antimodernen Revolte.

Das eine Dokument legte die Freiheit als den natürlichen Atemraum menschlichen Lebens fest, das andere etablierte den Plan, aus dem das Funktionieren einer staatlichen Zwangsmaschine abgeleitet zu werden hätte.

Die Revolution feierte sich selber als Sieg der „Aufklärung“, als die große Befreiung, als die unumkehrbare Wende in der Geschichte aller Menschheit. Das gröle Maulheldentum hätte Warnung sein sollen, aber je lauter die Verkommenheit sich selber feiert, desto entzückter nimmt das Menschtier die Einladung an.

Noch zu Zeit des Jungen wurde von den Historikern die Geschichte des Hocherwecks mit den Propagandatermini des Hocherwecks selbst geschrieben. Als würde man die Geschichte des Stiefelunwesens mit Begriffen analysieren, die man aus den Schriften der Stiefel selbst gewonnen hätte. Auch die Geschichte der Mützenimperien wurden gerne unter Zuhilfenahme von Mützenbegriffen dargelegt. Darüber hinaus liebte man zu versichern, die Mützenimperien seien noch nicht die wahre Verwirklichung des Mützenentwurfs gewesen, das müsse erst noch kommen, daran müsse man festhalten. Im Alter des Jungen witterten und wieherten die Stiefel und sahen Morgenröte am Horizont, die alten Stiefelschriften wurden wieder ausgegraben, in den elektronischen Spielzeugen fragten die Idioten um Rat, so gerne Stiefel sein wollten und nun des mutmachenden Erbauungsschrifttums ermangelten, da wusste man doch Auskunft.

Gleichzeitig wurde über den alten Rumor diskutiert, dass mit dem Hochgeleucht selbst etwas nicht stimme. Das Hauptgröl des Hochgeleuchts war stets gewesen: Wir sind die Moderne, mit uns hat alles angefangen. Die Sensibelchen zur Zeit des Jungen, gerne staatlich alimentiert und der Sorge um ihren Lebensunterhalt enthoben, redeten vom „Projekt der Moderne“, das noch nicht an sein Glanzziel gekommen sei, warum nicht? weil eben die Ideale des Hocherwecks noch nicht verwirklicht worden seien. In den wohnlichen Gehäusen, so versicherten die Sensiblen, geschaffen durch die Verfassungen so vieler scheinbar freier Länder, wohnten immer noch die Menschen mit dem unfreien Bewusstsein, da müsse nachgearbeitet werden.

Gerade die einfachen Menschen, auf die der malle Alte und der Prägnante so gern hinabblickten, wie die in ihrer Dummheit bewusstlos durch die Gassen schoben, bewährten einen ziemlich guten Instinkt dafür, was sie von den Weckern zu erwarten hatten, und versagten ihnen die ausreichenden Stimmen, den erwünschten Zwangsstaat zu etablieren, in dem die Politik als bewaffneter Arm der Sozialpädagogik hätte auftreten können, die Wecker trieben es auch ohne demokratische Legitimation schlimm genug, indem sie den langen Marsch durch die Institutionen antraten und aus den Ämtern heraus, auf dem altvertrauten Wege der Rechtsbeugung und der Begünstigung im Amt, Maßnahmen durchsetzten bis hin zur Zwangsbewirtschaftung der Sprache selbst, sorry, mir fehlt jetzt wirklich der Nerv, hier auf Einzelheiten einzugehen.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 16.05.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)