Ja, das war eine große runde Stube, rundum mit Fenstern versehen, und es roch nach Holz, nach warmem, von der Sonne beschienenem Holz, das war der dunkle Eichenboden, und die Wände waren auch getäfelt. In der Mitte des Raumes stand eine fast senkrechte Leiter, die führte zu einer Falltür oben in der Decke, da musste also noch ein Raum liegen, ein Speicher wohl, unter dem spitzen Runddach.
Die Stube war angefüllt mit hölzernen Gerätschaften, Böcke und Gestelle und Bretter, auch eiserne Zwingen und Hobel und Hämmer und sonstiges Handwerkszeug lagen herum, aber was Eluard am meisten erstaunte, das waren die hellen, glänzenden Holzlocken, die den Boden bedeckten, der Tischler hatte gerade gehobelt, das hatte das schleifende Geräusch verursacht, das Eluard von der Treppe her gehört hatte, und die Späne ringelten sich und sahen aus wie Papier.
Eine Bettstelle stand an der Wand, unter einem Fenster, daneben der gemauerte Ofen.
„Das ist Eluard“, sagte Lili mit ihrer hellen Stimme, „ich hab ihn mitgebracht, weil, und wir wollen hinausgehen, dürfen wir?“
„Wir sind hochgeehrt“, antwortete der Tischler Bertram und gab Eluard zeremoniell die Hand, eine mächtige Pranke war das, und das erschien Eluard seltsam, denn der Mann selbst war nicht besonders groß und keinesfalls plump. Er zählte vielleicht vierzig Jahre, ja, das mochte stimmen, und hatte ein lächelndes, faltiges Gesicht und hellbraune Haare, fast honigfarben, die Augen waren genauso …
„Was machst du da?“ fragte Lili, indem sie ihre Puppe an die Brust drückte.
„Nur Bretter, glatte Bretter schufen wir eben, das ist der Kern des Tischlerhandwerks“, antwortete Bertram, und Eluard schaute sich suchend um im Raum, als er „wir“ sagte, aber es war niemand sonst da.
„Und wie gehen die Geschäfte unter euch Kaufleuten?“ erkundigte sich Bertram. „Sind offen die Länder, zum Handel bereit die Straßen?“
„Oh ja“, sagte Eluard ernsthaft, „gesegnet hat Vautrin unsere Wege.“
Der Tischler Bertram neigte den Kopf. „Wir sind hocherfreut, dies zu hören.“ Und er drückte Eluard erneut die Hand.
„Nun komm schon“, sagte Lili ungeduldig und ein wenig eifersüchtig. „Wir wollen hinausschauen.“ Sie nahm Eluard bei der Hand und zog ihn hinüber zu einem der offenen Fenster.
„Oh“, sagte Eluard, „man kann ja weit sehen …“
Unten lag der Wald des Innenhofs, Kastanien und Linden, kugelige Berge die Wipfel. Der Nachmittag ging schon zur Neige, die Sonne senkte sich, ihre rötlichen Strahlen trafen die weiße Umfassungsmauer und ließen sie aufleuchten, die hielt die Bäume, die rauschenden Bäume zusammen wie eine Schafhürde die flockige Herde, dichtgedrängt, murmelnd, wartend.
Der Fluss lag verschleiert, kaum zu unterscheiden von den Wiesen, nur heller, ein langgestrecktes, in Dunst gehülltes Band, floss nach Süden, nach Südwesten, war bald nicht mehr zu sehen.
Gegen Südosten, weit in der Ferne, lag der Kiefernwald, durch den die Kaufleute des anderen Tages gekommen waren; man konnte ihn erkennen an dem rötlichen Schimmer, der schwebte über ihm so fein und zart wie das erst Grün in den Frühlingsbäumen.
Und nach Südwesten hin, da leuchteten blau die fernen Berge, es tat weh, sie zu sehen, hoch war der Himmel über ihnen, erfüllt vom Licht der späten Sonne, die Berge am Grund des müden Glanzmeeres, das würde bald schlafen; sie waren der Ort, dahin zu wandern blieb, und ihrer war die Stätte neuer Wälder und neuer Wege, an deren Horizont fremde Berge blauten.
Eluard stand und schaute, er fühlte sich auf einmal müde, wollte die Augen schließen und schlafen, nur schlafen, alle Erinnerungen flossen zusammen und bildeten ein Meer des Vergessens.
„Jeden Tag betrachten wir diesen Ausblick“, sagte der Tischler Bertram, der hinzugetreten war, „und freuen uns an den Werken Vautrins, ja.“
Eluard nickte zur Antwort; wie seidenblau war die Luft! Er fühlte sie um Stirn und Wangen streichen, der Wind berührte ihn mit Zärtlichkeit, strich durch das Turmzimmer, hell und lächelnd, er ging, wohin er wollte, wer ist nicht satt des Schleichens auf der Erde?
„Dort sind mein Papa und meine Mama“, sagte Lili und wies mit ausgestrecktem Arm in die Wiesen und Felder, die lagen weit und hell vom Fluss bis hin zu den Bergen.
„Siehst du das?“ fragte Lili drängend.
Da war nichts zu sehen, man hätte auch niemanden erkennen können von hier oben, kaum überhaupt eine menschliche Gestalt ausmachen, aber Eluard sagte höflich: „Ja, ich seh sie.“
„Ah“, machte Lili befriedigt.
„Wir werden uns wieder an die Arbeit machen, mit eurer Erlaubnis“, sagte der Tischler Bertram. „Doch sollt ihr euch dadurch nicht gestört fühlen, haltet euch auf hier nach eurem Belieben, wir jedoch müssen an unserer Tagewerk denken.“
„Ja, geh nur“, sagte Lili, und Bertram fing wieder an zu hobeln, mit gleichmäßigen Strichen, das gab ein helles, schleifendes Geräusch, doch durchaus nicht unangenehm, und das Holz duftete, mischte sich den leisen Zügen des Abendwindes.
Die Fenster standen offen, die hölzernen Läden lehnten unter ihnen an der Wand, und eines besaß sogar Butzenscheiben, die Flügel waren aufgestoßen und blinkten bunt in der Sonne. Wie hoch und offen das Turmzimmer war! Die Vögel konnten hindurchfliegen, und der Abend schlich sich ein, leise und weich.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 03.05.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)