Der letzte Dreck

Ich sagte schon, dass Außenseitertum unter den Menschtieren vielfach nur eine Frage des Zeitpunkts ist. Zu seinen Lebzeiten war der Junge ein Außenseiter gewesen, aber nach der religiösen Wende wurden die meisten seiner Einstellungen und Haltungen Allgemeingut.

In gewisser Weise galt das auch für die Pferdeschnauzige. Zu ihrer Zeit war sie als gestört betrachtet worden. Im seinem Alter erlebte der Junge noch, dass ihre Defektheiten, ihr irrer Männerhass wie ihre nicht weniger irre Frauenanbetung, zur öffentlichen Norm wurden. Da war er alt, und er zuckte die Achseln. Es berührte ihn nicht mehr. Nicht mehr wirklich.

Es berührte ihn nicht einmal mehr in denjenigen seiner Leben, da er an seinen Romanen bastelte, und seine ohnehin unvorhandenen Aussichten auf einen Verlagsvertrag endgültig in Nichts zerflatterten, weil er nämlich alt war, und ein Mann.

Ein Mann!

Der letzte Dreck!

Und alt obendrein.

Nun, die Werke von alten Männern wurden nicht mehr gedruckt, man verlangte nach den sensationellen Debutromanen junger Frauen, eine fulminante Neuentdeckung! schreie Anklage versprechend, nur leicht novellistisch umhüllt, alles wahr im Kern! wie sie missbraucht worden sei, sie, die Autorin das Opfer, missbraucht von alten Männern. Er sah sich auf der Anklagebank sitzen in seinem Alter, der Junge, einfach weil er ein Mann war. Da er auf der Anklagebank schon sein ganzes Leben lang gesessen hatte, hielt sich seine Betroffenheit sehr in Grenzen.

Gut, dass ich da raus bin, dachte er, und verweigerte begegnenden Frauen zuweilen sogar den Blickkontakt. Manche verfolgten ihn dann wütend und wollten beachtet werden.

Der hat mich belästigt. Er hat mich nicht beachtet!

Er bekam den Eindruck, den die Jahrtausende vor ihm als Gewissheit tradiert hatten, dass nämlich Frauen von Natur aus unter gestörtem Gleichgewicht leiden, und dass ihnen deshalb ein stabiles kulturelles Stützkorsett von Vorteil ist.

Die Sache mit den Mikroaggressionen, und dass Frauen beachtet werden wollen, und dass, wenn sie beachtet werden, es Belästigung ist, und was sonst noch, dies alles war durch Einsicht und vernünftiges Besinnen nicht mehr zu beheben, durch gutes Zureden schon gar nicht. Chronifizierte Krankheiten lassen sich manchmal heilen, indem der Patient entschlossen in eine andere Umgebung verbracht wird, und das geschah endlich, als das Menschgetier sich auf ein neues kulturelles Festland rettete, nach der religiösen Wende, Männer und Frauen gemeinsam. Davon sollte der Junge nichts mehr mitbekommen.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 24.04.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)