Belästiger

Er half übrigens Frauen voran, wo immer er konnte.

Warum macht der das? Der will doch was! Warum ist der immer so freundlich? Der will doch was! Der ist zu allen Frauen so! Der macht sich doch an jede ran! Bei dem müsst ihr aufpassen, der schmeißt sich an alle ran!

In manchen Jobs war der Junge schon nahe dem Rentenalter, bis ihm endlich aufdämmerte, was lief. Hatte er eine junge Frau einzulernen, wunderte er sich manchmal, warum die ihm so reserviert begegnete. Oder ängstlich, je nach Temperament. Seine unbelehrbare Naivität hinderte ihn, das Ausmaß des Geredes zu verstehen, das ihn umschwappte. Er verstand auch nie die bedingungslose Bereitschaft, mit der Frauen alles glauben, was ihnen von anderen Frauen erzählt wird. Nur von Frauen, Männern glauben sie nichts, Frauen alles.

Bei dem musst du aufpassen, der macht sich an alle ran!

Begrüßte der Junge die so Vorgewarnte freundlich, sagte er ihr auch nur mit einem Lächeln unter Blickkontakt Guten Tag, war die Warnung bestätigt. Der hat sich gleich an mich rangeschmissen! Und der Junge fragte sich irritiert, was war das jetzt, warum ist die zurückgezuckt, und gab es irgendwann auf, überhaupt noch nachzudenken.

Die Gefühle! Diese unbeherrschbaren Gefühle!

Es geschah ihm, dass er eine weibliche Hilfskraft fragte, ob sie die aufgetragene Arbeit erledigt habe, und zur Antwort ein schnappendes „Nein!“ erhielt.

Er schaute einen Augenblick ratlos, überblickte den Schreibtisch, sagte: Da liegt doch alles …

Die Hilfskraft zitterte vor Widerwillen und Ablehnung am ganzen Leib.

Der Kollege hat doch bloß nach Ihrer Arbeit gefragt, das ist seine Aufgabe, wurde der Hilfskraft entgegengehalten, im Nachgang.

Das muss ich mir nicht gefallen lassen, dass ich angemacht werde!

Was hat er denn gesagt? Hat er Sie angefasst?

Ist doch völlig egal, was der gesagt hat! Ich weiß, wenn ich blöd angemacht werde!

Und hinter sich hörte der Junge höhnisch reden, ganz offen: Mit jeder kann er‘s eben nicht machen! Gut, dass die sich gewehrt hat!

Es war aussichtslos. Auftritte wie dieser wurden im Alter des Jungen allgemein, zuweilen hörten Männer auf, mit Kolleginnen, gar dienstniedrigeren, überhaupt noch zu reden, und wenn sie‘s doch taten, dann in Gegenwart von Zeugen, und in weitem Abstand, und bei geöffneter Zimmertür. Nützte aber auch nichts, das unverfänglichste Wort, der neutralste Blick, die dienstlichste Beherrschtheit konnte als „Mikroaggression“ gedeutet werden, der Begriff kam auf in vollem Ernst. Freundlichkeit, gar Unbefangenheit, geriet ohnehin unter Belästigungsverdacht.

Die Folgen war dem Vorankommen der jungen Frauen nicht unbedingt förderlich. Die Chefs luden nach der Arbeit die jungen Kerle ein, noch einen trinken zu gehen, die Frauen wurden erst gar nicht gefragt. Wär ja sowieso Belästigung gewesen.

In die Betriebe, in die Universitäten gar, zog lauerndes Misstrauen ein, alles Reden alles Miteinander wurde auf Mann gegen Frau bezogen, mit der Unentrinnbarkeit einer Zwangsvorstellung. Da die Menschtiere nun einmal entweder Männer oder Frauen sind, kam solcher Bezüglichkeit ein Schein von Plausibilität bei, aber der Kampf um die Gleichbehandlung der Geschlechter rückte die Ungleichheit erst in den Blick, und zwar auch dort, wo es gar keine gab. Wo darauf bestanden wurde, einen weiblichen Richter als „Richterin“ anzusprechen, wurde angedeutet, eine Richterin sei etwas anderes und tue etwas anderes als ein Richter, wiewohl doch die Funktion die nämliche war und unbedingt zu sein hatte. Auch von einem weiblichen Klempner – so es die denn gab, denn bei wachsender Gleichberechtigung machten sich die Weibchen immer weniger gern die Finger schmutzig – auch von einem weiblichen Klempner also wurde die Herrichtung des Toilettenanschlusses in gleicher Funktionalität erwartet wie von ihrem männlichen Kollegen, und wer die Verstopfung des Abflusses behoben sehen wollte, dem war das Geschlecht des herbeieilenden Helfers herzlich egal. In der Folge führte das Insistieren auf Gleichheit dazu, Ungleichheit überhaupt erst herzustellen, selbst dort, wo es gar keine geben konnte.

Tatsächlich ging es so mancher Gleichheitskämpferin längst nicht mehr um die Gleichheit. Die Kämpferinnen wollten, was auch die Pferdeschnauzige schon gewollt und praktiziert hatte, und vor ihr die Grimmvettel: sie wollten die Macht.

Die Macht über die Männer. Bedingungslos.

Und diese Macht zu erreichen, waren alle Mittel recht und willkommen. Diffamierung Denunziation Erniedrigung Verhöhnung, der ganze Werkzeugkasten, dem Jungen wohlbekannt aus den Tagen der Pferdeschnauzigen, wurde eröffnet hinaus ins Freie, zur Benutzung anempfohlen jedem gierigen Zugriff.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 22.02.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)