Zweiundvierzig Personen lebten in Dietrichs Haus, das ist nicht wenig, und gesegnet hatte Vautrin sie mit Fruchtbarkeit, so dass sie vier kleine Kinder ihr eigen nennen konnten.
Mit dem Jüngsten, natürlich, da war noch nicht viel anzufangen, er lag in der Wiege und krähte, und schlief, und saugte an der Mutterbrust, die war übrigens hübsch, gehörte einem jungen Mädchen namens Antonis, sechzehn Jahre alt und Elisabeths Nichte. Einen Vater gab es auch, aber der hatte es nicht so eilig mit dem Heiraten, überlegte sich gar, fortzuziehen und Kaufmann zu werden, Antonia war nicht untröstlich darüber, spielte und lachte den ganzen Tag mit ihrem Kind und machte sich keine Gedanken um die Zukunft.
Dann traf man zwei kleine Jungen, Halbord, mit acht Jahren gewaltig erwachsen, und Jeremias, der was vier, Halbord führte die Spiele an, wie es ihm zukam, stämmig war er und langsam im Denken, das würde einen guten Landmann abgeben, später einmal, und schon jetzt hielt er sich gerne auf, wo ernsthaft gearbeitet wurde, und schaute zu, legte gar Hand an, wenn es ihm erlaubt wurde, Jeremias war anders, der lachte viel, man könnte sagen, er war albern, doch würde sich das sicher legen mit dem Alter. Er präsentierte eine Hasenscharte, die hatte eine kundige Hand geschnitten und genäht, als er noch ein Säugling gewesen war, sie war gut verheilt, doch eine leichte Verwachsung und eine weißliche Narbe verrieten den alten Fehler.
Sie zeigten sich übrigens beide, Halbord und Jeremias, dunkelhaarig, Jeremias braun, Halbord fast schwarz, mit schweren Augenbrauen.
Und schließlich gab es ein kleines Mädchen, Lili wurde sie gerufen, zur Abkürzung für Emilie, und sie war niedlich, mit blauen Augen und weichen blonden Haaren und heller Haut, und wurde von allen umsorgt und gehätschelt, das war nur natürlich, Mädchen sind wichtig, wer soll sonst die Kinder zur Welt bringen … es war ein großer Tag gewesen, als sie geboren wurde, und kein Ende der Glückwünsche, ihr Vater platzte fast vor Stolz, wahrhaftig, ein Mädchen …
„Kommt ihr von weit?“ fragte Lili und drückte ihre Puppe an sich. Das war ein sehr lebendiges Geschöpf, die Puppe, genäht aus alten Stofffetzen und gestopft mit Stroh, sie hatte ein richtiges Gesicht, Augen und Nase und Mund aus schwarzem Garn, Lili konnte lange Zwiegespräche mit ihr führen, das war kein bisschen langweilig.
„Oh ja“, antwortete Waldemar, der fühlte, dass er für Eluard die Verantwortung hatte, „wir sind ja Kaufleute, wir fahren immerzu, und ohne Ende sind die Wege des Kaufherrn …“
„Dann könnt ihr sicher viel erzählen“, sagte das kleine Mädchen beeindruckt.
Halbord blickte die beiden Kinder von den Wagen aufmerksam an, mit grübelndem Ausdruck, er suchte sie zu ergründen, das dauerte seine Zeit, und er gehörte zu den Leuten, denen nicht bewusst wird, dass sie starren, wenn sie starren.
„Seid ihr Brüder?“ fragte er endlich.
„Oh nein“, antwortete Waldemar wichtig, „das ist Eluard, und er ist der Sohn eines Maître, jawohl, und er kommt von ganz weit her …“
Jeremias sperrte den Mund auf, er fürchtete sich ordentlich; wenn du nicht artig bist, dann kommt ein Maître und steckt dich unter seinen schwarzen Rock und nimmt dich mit, das sagte seine Mutter immer, wenn er allzu unleidlich wurde, und jetzt war da der Sohn eines Maître, da musste man ja Angst haben.
Sie saßen auf den Steinstufen vor dem Hauptportal, zu fünft nebeneinander, und schauten hinaus auf den Wald des Innenhofes, und rechts führte die Holztreppe nach oben. Die Wagen waren längst beiseite gefahren, irgendwo hinter dem Haus standen sie, wenn man da von „dahinter“ reden konnte, in sicherer Hut, und die Ochsen kauten ihr Heu im Stall.
Es waren Wolken aufgezogen, weiß und hoch, sie schwammen schnell dahin und beschatteten immer wieder die Sonne, ein dunkler Streif fiel dann über das Haus und den Hof und die Bäume, wunderbar war es zu sehen, wie der Schatten dahineilte, und das Licht folgte ihm.
Lili schaute dem Spiel zu, es spiegelte sich in ihren blauen Augen, und sie war sehr ernsthaft.
„Und wer ist die kranke Frau?“ fragte sie
„Das ist Magdalena“, antwortete Waldemar wichtig, „und sie ist sehr krank, und sie wird vielleicht sterben.“ Darauf war er stolz, sterben, das war doch etwas Besonderes, etwas, worüber die Erwachsenen redeten, wichtig und außerordentlich, und etwas von dem Glanz fiel nun auch auf ihn …
Eluard schaute ihn an, mit Bestürzung, er weiß nichts, er weiß gar nichts, dachte er.
Natürlich wusste Waldemar nichts, er liebte Magdalena, er liebte sie ja so sehr, Sterben, das war einfach etwas Besonderes, er hatte keine Ahnung, was, und es kümmerte ihn auch nicht, sie würden alle miteinander eine Zeit lang an diesem Ort bleiben, und dann würden sie weiterziehen, wie es immer war, er dachte nicht daran, dass sich etwas ändern könne …
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 21.04.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)