„Da bist du endlich“, rief Elisabeth vorwurfsvoll.
„Ja, ja“, antwortete er. Er war ein starkknochiger Junge von siebzehn oder achtzehn Jahren, eigentlich ein Mann schon, aber mit kindlich ernstem und grüblerischem Gesicht, unter wirren Haaren, die hatten heute noch keinen Kamm gesehen, gestern vielleicht auch nicht.
Er kam mit Mühe herabgeklettert, mit dem langen Hals und den spähenden Augen eines Menschen, der einen sperrigen Gegenstand eine Treppe hinuntertragen muss, und unten empfing ihn Elisabeth mit den Worten: „Na endlich, dass du aber auch immer so lange brauchst …“ Als sie sein gekränktes Gesicht sah, lenkte sie ein und sagte: „Ist ja schon gut … war klug von dir, an den Stuhl zu denken, bist ein gescheiter Junge …“
Etwas in Davids Antlitz lehrte Aslan, dass die Gescheitheit des Jungen gelegentlich umschlagen könne in ein Anderes, das vielleicht nicht ungefährlich war …
„Jetzt aber“, sagte Elisabeth.
„Ich steige hoch“, sagte Aslan, „und trage sie heraus.“
„… und dann setzen wir sie in den Stuhl und bringen sie ins Haus“, ergänzte Elisabeth.
„So machen wirs“, sagte Roger.
Aslan stieg hoch, und man hörte ihn drinnen reden, beruhigend und leise, Magdalena wurde wach, da er sie hochhob.
„Das ist ein großes Haus!“ sagte Waldemar zu Eluard.
„Ja“, antwortete Eluard und hielt sich ängstlich im Hintergrund, man würde die Kranke bringen, das Tier, das unheimlich verwandelte Tier …
Und Magdalena war verwandelt, von Fieber geschüttelt, die Haare strähnig, blass und schweißbedeckt das Gesicht, zerstört war die ruhige, lächelnde Magdalena, eine Nacht und ein Vormittag des Leidens hatten gereicht, ihre Person auszulöschen, wie ein Schwamm die Linien löscht auf einer Schiefertafel; man sieht das bei Kranken, sie sind nur mehr ihre Krankheit, ein Bündel aus Nerven und Schmerz, die Gesichtszüge fast unkenntlich geworden, verzerrt und voll des Wunsches, einzutauchen in die Bewusstlosigkeit.
„Oh, bei Vautrin!“ jammerte Elisabeth, als sie das sah, „welch ein Unglück, ein großes Unglück …“
Aslan kniete nieder auf dem Kutschbock, schob Magdalena in Rogers und Inges empfangend entgegengereckte Arme, und Magdalena stöhnte, als das Tageslicht sie blendete, es stach ihr in die Augen wie ein Messerschnitt, bohrend, mit unerbittlicher Genauigkeit, der Schmerz tastete ihr Gehirn ab, dass sie schrie, und Eluard fühlte, wie sich ihm die Eingeweide zusammenkrampften; sie setzten das Bündel in den Stuhl, und Grand Mère warf vom Wagen herab Roger die Decke zu und rief: „Schnell, deckt sie zu, sie schwitzt …“; und dann packten sie an, Aslan und David an den Seiten, Roger hinten, und hoben den Stuhl und trugen ihn die Treppe hoch, Elisabeth stieg vorweg und wies den Weg, hoch die knarrende Eichentreppe, Inge rannte hinterher, und ganz zum Schluss folgte, pustend und schnaufend, Grand Mère.
„Los“, sagte Waldemar und tanzte auf einem Bein, „wir gehen auch hinauf, nun komm doch schon.“
Eluard schaute sich um, die Wagen standen vor dem Portal, gegenüber erhob sich eine Linde, der Wipfel rauschte, unter dem blauen Tag, und weiß leuchteten die Mauern des Hauses.
„Ja“, sagte er widerstrebend, „ich komm ja schon.“
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 19.04.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)