Für eine Weile herrschte Stille, Stille im Haus und im Wald des Hofes, es war eine lange Weile, die Kaufleute hörten die Vögel zwitschern in den Wipfeln und über den Dächern, in den Wagen knarrte nach die Erschütterung der Fahrt, die Ochsen scharrten im Kies, und Aslan wollte gerade rufen, erneut, Roger trat zu ihm an den Kutschbock, da tönte von oben, irgendwo von oben eine Frauenstimme: „Wartet – ich komme gleich runter!“
„Sie haben es nicht eilig, bei Vautrin“, murmelte Roger.
„Sie werden alle draußen sein, auf den Feldern, oder sonst bei der Arbeit“, mutmaßte Aslan. „Es ist gut, dass überhaupt jemand daheim ist.“
„Gewaltig erscheint dieses Haus“, sagte Grand Mère, „nur in den großen Städten ist sonst dergleichen zu sehen.“
Über ihren Köpfen öffnete sich eine Tür, und die Kaufleute blickten hinauf. Das war die Tür am Ende der überdachten Treppe, und die Frauenstimme rief erneut: „Gleich, gleich …“
Die hölzerne Stiege war gefügt aus schweren Eichenbohlen, das Dach aus leichteren Schindeln, aufruhend auf kunstlosen Holzpfosten, so dass die linke Seite der Treppe offen lag, durch einen Handlauf geschützt; rechts die Hauswand.
„So, jetzt“, rief die Stimme, und dann wurde die Frau endlich sichtbar, sie kam eilends die Treppe heruntergehastet, doch mit vorsichtigem Blick auf die Stufen, die sich wellten und krümmten vor Alter.
„Vautrin sei mit euch!“ rief sie und lächelte. „Ihr seid wohl Kaufleute?“ Sie war sicher schon vierzig, hart und sehnig, die hatte ihr ganzes Leben draußen auf dem Feld gearbeitet, das sah man, sie hatte auch diesen klaren Blick aus blauen Augen …
„Ja“, antwortete Aslan rasch, „wir sind Kaufleute, Aslan heiße ich, und dies ist meine Familie, aber nicht zum Handeln sind wir gekommen in der Hauptsache, du musst wissen, eine Kranke haben wir auf dem Wagen, sie ist meine Frau, der Pflege bedarf sie dringend, der Ruhe …“
„Oh“, rief die Frau und schlug die Hände zusammen, „eine Kranke, welch ein Unglück, ein großes Unglück, Vautrin hat euch geschlagen, Elisabeth heiße ich, ihr seid willkommen, was tun wir, wartet …“
Sie hielt inne, überlegte, dann sagte sie: „Lasst mich doch einmal sehen – “
„Oben, auf dem Wagen“, nickte Aslan, und die Frau Elisabeth kletterte hinauf und durch die Plane, Grand Mère half ihr, und drinnen hörte man es murmeln und beraten, dann redete Grand Mère längere Zeit, gedämpft und eindringlich, und schließlich kamen die beiden Frauen wieder zum Vorschein, und Elisabeth sagte, indem sie herabkletterte:
„Schwer macht es Vautrin den Menschen, zu pflegen haben auch wir einen Kranken, ach, er liegt im Sterben, es ist das Alter, und treu pflegen wir ihn, doch geht es zu Ende, wir werden dein Weib aufnehmen“ – dies zu Aslan – „das versteht sich, wartet einmal …“
Sie begann die Treppe hinaufzusteigen, und rief dabei fortgesetzt: „David, David, du steckst doch irgendwo, komm mal her, du musst mit anpacken, wo bist du denn, David, hörst du nicht, jetzt komm doch endlich …“
„Hör auf zu lachen“, fauchte Inge, und Roger schaute schuldbewusst.
Elisabeth war fast oben angelangt, da öffnete sich im dritten Stock ein Fenster, und eine brüchige Stimme rief: „Was ist denn schon wieder?“
„Bist du endlich da?“ schimpfte Elisabeth und stampfte mit dem Fuß. „Komm runter zu mir, wo …“ Sie beugte sich gefährlich weit über das Geländer, in dem Bemühen, am Treppendach vorbei das Fenster zu sehen, in dem der Junge hing. „Du musst mit zupacken, schau, da sind Kaufleute, in Not sind sie, haben eine Kranke bei sich, ins Haus muss sie gebracht werden …“
„Ich komme … ich bring einen Stuhl mit“, rief die unsichtbare Stimme, und Elisabeth kehrte wieder um und stieg zu den Wartenden hinunter. „Das ist David“, sagte sie entschuldigend, „immer hat er den Kopf woanders, ein kluger Junge ist er, oh, so klug, aber eigensinnig, ja, das ist er.“
„Ja“, sagte Inge, unruhig und voller Angst, „nur schnell …“
„Gewiss“, antwortete Elisabeth.
„Das ist meine Tochter“, sagte Aslan erklärend, „und dies Roger, ihr Mann und mein lieber Sohn … und dies sind unsere Kinder.“
Er wies mit verallgemeinernder Geste auf Waldemar und Eluard, die vom zweiten Wagen herabgestiegen waren und nun hinzutraten, Waldemar vorneweg.
„Oh!“ rief Elisabeth nun, „zwei Kinder habt ihr, wie hübsch sie sind, ich gratuliere euch, wohl gesegnet hat euch Vautrin.“
„Wer ist der Herr eures – eures Hauses?“ fragte Aslan.
„Das ist Dietrich“, antwortete Elisabeth, mit einem ungeduldigen Blick nach oben, „Dietrich ist der erwählte Herr dieses Hauses .. wo der Junge nur wieder bleibt …“
„Und wie viele zufriedene Köpfe zählt dieses Haus?“
„Zweiundvierzig Personen sind wir …“
„Was?“ rief Roger. „Zweiundvierzig? Bei Vautrin … sagt einmal, gute Frau, reich an Waren sind unsere Wagen, und …“
„Aber ja“, antwortete Elisabeth angeregt, „lange schon hat uns kein Kaufherr mehr besucht, wahrhaftig, da sind nicht wenige Dinge, über die zu reden wäre, wartet nur bis zum Abend, dann kommt auch Dietrich zurück vom Feld, und Martha, seine Frau … in der Tat, reich scheinen eure Wagen zu sein, voll der Ware, wohlhabend seid ihr unter den Kaufherren …“
Aslan neigte höflich den Kopf. Roger schaute nachdenklich, da Elisabeth sagte, lange schon habe kein Kaufherr mehr das Haus besucht, und er machte den Mund auf, um nach dem Händler Gelbmann zu fragen, aber da knarrte oben an der Treppe die Tür, und David kam heraus, einen schweren Lehnstuhl schleppend.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 17.04.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)