Das Haus

Reich und weit war die Landschaft, in sanftem Hügelschwung. Bald wurden die Wiesen abgelöst von Feldern, das Korn reifte.

Warm und leuchtend der Tag.

Weithin war das Land bestellt, in großzügigen Äckern, begrenzt von Hecken und Baumreihen, den Wind zu hindern.

„Viele Menschen können hier leben“, sagte Aslan, „ein guter Ort ist das.“

Da arbeiteten drei Leute im Feld, und sie riefen und winkten, und Aslan hob sich halb vom Sitz, formte die Hände zum Schalltrichter und rief hinüber: „Wir sind Kaufleute … geht’s hier zum Ort?“

„Zum Haus, ja“, riefen sie zurück und lachten, ein Mädchen war dabei in blauem Kleid über hellem Untergewand und mit offenem Mieder, man sah die braunen Schultern leuchten, als sie winkte, und sie tanzte auf den bloßen Füßen, und Aslan dankte und setzte sich wieder und rief den Ochsen zu.

Grand Mère streckte den Kopf zur Plane heraus. „Ein reicher Ort muss es sein“, sagte sie, „schau, wie fröhlich die Menschen sind bei ihrer Arbeit, dies ist ihr Teil, und Vautrin hat es gut gewählt …“

Leicht führte der Weg den Hügel hinan, in die Bläue des Morgens, schwer stampften die Ochsen im hellen Licht, und dann war die Kuppe erreicht, eine Linde rauschte da im Wind.

Weit und hell das Land.

Felder, ein glitzerndes Flüsschen. Und jenseits das Haus.

„Ooooh“, machte Grand Mère.

Groß war das Haus, groß wie eine Stadt, und es leuchteten die Mauern, dass der Glanz blendete, unter den blauen Dächern, und dem Gewinkel der Türme, unzählbar.

War das ein Haus? Da war ein Hauptbau, oh ja, und da waren Seitenflügel, und Anbauten, und Erker, und überkragende Geschosse, und hölzerne Umgänge, da waren Dachreiter und fialengeschmückte Giebel, Mauern lehnten sich gegeneinander und Türme sahen auf tieferliegende Dächer, Gewirr und Winkel.

Und eine Kronenmauer umschloss das Haus, eine weiße Mauer, die eine Seite am Fluss entlang, fast den Uferrand bildend, und da war ein Tor, mit rundem Durchgang und schwerem Seitengemäuer, auf dem hockte ein Häuschen, wie ein Taubenschlag auf einem Sockel, mit funkelnden kleinen Fenstern, und vor dem Tor führte eine Holzbrücke über den Fluss, hinüber zur Straße.

„Sieh“, flüsterte Grand Mère, „wie schön ist das Haus.“

Geschützt lag es in der Umfriedung seiner weißen Mauer, und war buntes, lächelndes Gewinkel. Stand da in der Mitte ein Hauptbau, dreigeschossig, bestehend aus zwei Flügeln, doch waren diese nur getrennt durch einen vorspringenden Turm … war das so? Aslan strengte seine Augen an … nein, das war nicht nur ein Turm, das waren … vier, oder? Zwei Rundtürme, mit spitzen Dächern, fähnchengeschmückt, und vorgelagert ein schwerer viereckiger Turm, von einem Zinnenumgang gekrönt … aber hinter den beiden Rundtürmen, da schaute noch ein spitzes Dach hervor, war ein vierter Turm, oder vielleicht ein Dachreiter? Ja, das war es, das musste ein Dachreiter sein, aber siehe, die Dächer der beiden Flügel waren ja gar nicht gleich hoch … und hinter dem linken Dach, da schauten zwei – nein drei Anbauten hervor, zwei, die lagen im rechten Winkel zum Hauptbau, spitz und wunderbar verziert die Giebel, nur die Dachgiebel waren zu sehen, und der dritte Anbau lag parallel, aber höher ragte er als der Hauptbau, viel höher, schaute auf ihn hinunter, und trug obendrein noch einen spitzen Dachreiter, mit durchbrochenem Obergeschoss, der mochte wohl eine Glocke bergen … und war der linke Flügel abgeschlossen durch einen anliegenden Querbau, zu dem führte eine holzgedeckte Treppe empor, aus dem Hof aufsteigend bis in den zweiten Stock, und das Dach des Querbaus war so hoch wie die hinteren Anbauten, ja, es überragte den Hauptbau, und doch schauten über es hinweg zwei weitere Turmdächer, rund und spitz und rot, und noch ein dritter Turm, zierlicher aber, und blau gedeckt …

„Das ist ja eine Stadt“, sagte Aslan.

Und der rechte Flügel verlor sich in eine Wildnis von Häuschen und Dächern und Giebeln und Schornsteinen, wie ging das zu, er war ebenso hoch wie der linke Flügel, doch war das Dach steiler, und er besaß nur zwei Geschosse, denn die unteren beiden, die waren in Wahrheit eines, hoch und schlank wölbten sich die Fenster, ein gewaltiger Saal mochte dort umschlossen sein … und die Anbauten, sie verlängerten den Flügel, wurden nach rechts, zur umfassenden Mauer hin, immer niedriger, es sah aus, als könne man von dem einen Dach auf das nächste hinuntersteigen wie auf einer Treppe … und schienen diese Anbauten ein Geviert zu bilden, das einen Hof umschloss, und aus diesem Hof hob sich ein Turm, höher als alle anderen Teile des Hauses, hell und leuchtend der Stein, fast weiß, vielfach durchbrochen das Mauerwerk von schimmernden Rundfenstern, geformt wie Rosenblüten … und gekrönt war der Turm von einem Wald aus Fialen, glitzernd wie Pulverschnee auf den Bäumen des Frosts …

Und Aslan schaute, wunderbar sind die Werke Vautrins, das diesseitige Ufer des Flüsschens war bepflanzt mit Kopfweiden, und jetzt, da man näher kam, sah man auch, dass Sträucher wuchsen und Bäume auf der Umfassungsmauer, und wilder Wein kletterte an ihr empor …

Dann senkte sich der Weg hinunter zum Fluss, und das Haus verschwand hinter der Mauer, nur die Dächer und Türme spähten herüber, unerschöpfliche Viehgestalt der Flächen und Winkel, der Spitzen und Schrägen, der Giebel und Reiter.

Ein Mann kam ihnen entgegen, mit breitkrempigem Rundhut, ein alter Mann war es am Wanderstab, und er lächelte und rief: „Ihr seid Kaufleute?“ – „Ja“, rief Aslan und hielt sich nicht auf, der Weg hatte die Tiefe erreicht, erreicht das Flussufer mit den Kopfweiden, ganz regelmäßig waren die geschnitten, siehe, mit ihren Gerten hatte man die Uferböschung befestigt, sicher war das Haus vor dem Willen des Flusses, und da kam schon die Brücke, die braune Brücke aus schweren Eichenbohlen, donnernd dröhnten die Ochsenhufe, die Räder rumpelten und hallten wider, und da war das Tor, hoch war es, dass die Wagen hindurchfanden und noch Raum übrig blieb, darüber schwebte der Taubenschlag, der Adlerhorst, und der Durchgang schallte vom Wagenlärm und öffnete sich hinein in den Innenhof, und siehe, das war ein Wald, ein heller grüner Wald aus Linden und Kastanien, und der Weg führte hindurch bis zu den Mitteltürmen, zwischen den beiden Flügeln des Hauptbaues, und da war ein Portal, und links davon stieg die überbaute Treppe nach oben, und Aslan zügelte die Ochsen, sie blieben stehen, schnaufend, der Wagen ächzte, hinten rasselte Roger heran, die Räder mahlten im Weg, und dann standen die Wagen, und Roger sprang vom Sitz und rief zum Eingang hin:

„Hallo! Komme doch jemand – wir brauchen Hilfe!“

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 15.04.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)